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Sie gelten als Delikatessen, waren Jahrhunderte lang Zahlungsmittel und sind begehrte Sammlerobjekte: Meeresschnecken, die aufgrund der zunehmenden Versauerung der Ozeane akut gefährdet sind.
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Am Nachmittag kehren die Männer mit großen Holzbooten in die weite Sandbucht zurück. Die Ladung besteht aus großen Meeresschnecken, deren üppig rosarot gefärbte Münder schon von weitem sichtbar sind. Die reiche Beute wird am Strand für den Abtransport vorbereitet. Dort schlagen die Männer mit spitzen Beilen kleine Löcher in die Spindel der Schnecken und ziehen die Tiere dann bei lebendigem Leib aus dem Gehäuse. Die hübschen Schalen werden allerdings am Strand liegen gelassen, denn die Beute besteht ausschließlich aus dem Fleisch der Schnecken. Außerdem würde kein Sammler ein beschädigtes Schneckengehäuse nehmen, denn ähnlich wie Philatelisten wollen Sammler nur unbeschädigte Stücke in ihrer Kollektion haben.

Karibische Spezialität
Zehn bis 15 Millionen solcher Großen Fechterschnecken werden jährlich verzehrt. Die bis zu 30 Zentimeter lange Conch (so der lokale Name), die mit ihrer Schale bis zu 2,5 Kilogramm wiegt, gehört zu den größten Meeresschnecken der Erde und kommt von den Bermudas im Norden bis Venezuela im Süden vor. Auf vielen Karibischen Inseln spielt diese Schnecke seit Jahrhunderten eine wesentliche Rolle im Leben der Bewohner. Früher wurden auch die Schneckengehäuse zur Porzellanherstellung oder zur Fertigung von Broschen verwendet. Heute wird die Conch fast ausschließlich wegen ihres schmackhaften Fleisches gejagt.
Auf einigen Inseln ist die Zahl der Tiere in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken. "Das ist kein Wunder", erklärt Anita Eschner, Leiterin der Molluskensammlung im Wiener Naturhistorischen Museum den Zustand: "Ein Tier braucht drei bis vier Jahre, bis es ausgewachsen ist, und kann ein Alter von etwa 25 Jahren erreichen." Inzwischen ist Strombus gigas - so der lateinische Name - durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen geschützt. "Wer mit einem Gehäuse bei der Einreise ohne Dokument erwischt wird, kann mit saftigen Strafen rechnen", erklärt die Expertin, die auch im Auftrag des Zolls tätig ist.
Früher konnten die Fischer in seichten Gewässern nur mit Taucherbrille auf Beutefang gehen und in vier Stunden bis zu 600 Exemplare fangen. Die Große Fechterschnecke, die ein reiner Pflanzenfresser ist, lebt auf sandigen Böden in den Seegraswiesen der Karibik. "Heute müssen wir bis zu 40 Meter tief tauchen, um Beute zu machen", erzählt ein Fischer auf der Karibikinsel Grenada. Nur knapp die Hälfte der in der Karibik gefangenen Schnecken wird vor Ort verspeist, der Rest geht in die USA, wo diese Spezialität - besonders unter den karibischen Einwanderern - geschätzt wird.
Ein kleines Überbleibsel kolonialer britischer Präsenz in Westindien sind die Turks & Caicos Inseln - die südlichsten Ausläufer der Bahamas. Hier kommt der Großen Fechterschnecke besondere Ehre zu: Sie ist neben dem Kaktus und der Languste sowohl in der Flagge als auch im Wappen verewigt. Zudem feiert man auf der Insel Providenciales im November das "Conch-Festival".
Die Schnecke ist die berühmteste Delikatesse der Inselgruppe, eine historische Ikone und außerdem ein Nummer-Eins-Exportartikel, denn mittlerweile gibt es hier die bisher weltweit einzige Conch-Farm. Den Namen Fechterschnecke trägt sie übrigens deshalb, weil sie ihren messerscharfen Schalenverschluss - das sogenannte Operculum - auch zur Verteidigung verwenden kann. Hauptsächlich verwendet die Schnecke ihr Operculum zum Fortbewegen im Sand und hinterlässt solcherart keine Schleimspur. Doch die größten Feinde der Tiere sind nicht mehr Langusten, Tintenfische oder andere räuberische Schnecken, sondern der Mensch.
Exponate in Wien
Seit Jahrtausenden spielen Weichtiere als Nahrungsmittel für den Menschen eine Rolle. Sogenannte Escargotieres - Funde aus dem späten Pleistozän rund 10.000 v. Chr. - machen deutlich, dass etwa in den Maghreb-Staaten und im gesamten Mittelmeerraum Schnecken und Muscheln verzehrt wurden. Doch sind nicht alle Meeresschnecken für den Menschen genießbar. In Europa gehören die gemeinen Strandschnecken (Bigorneaux/Periwrinkles), gekochte Wellhornschnecken sowie die Napfschnecken in Madeira zu den kulinarischen Spezialitäten. Nahezu mit Gold aufgewogen werden Abalonen (Seeohren), die in der asiatischen Küche als Delikatesse gelten und besonders bei festlichen Tafeln nicht fehlen dürfen. Sie werden heute unter großem Aufwand in Aquakulturen gezüchtet, da sie in freier Wildbahn selten geworden sind oder - wie etwa an der US-Westküste - unter strengem Schutz stehen.
Wenige Menschen wissen, dass das Naturhistorische Museum in Wien eine der größten Meeresschneckensammlungen in Europa besitzt. Gemeinsam mit dem Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt und den Naturhistorischen Museen in London und Paris beherbergt das Haus am Ring eine weltweit beachtliche historische Sammlung von Weichtieren. "Die ganze Sammlung umfasst etwa 1,5 Millionen Gehäuse", erklärt die Kuratorin Anita Eschner.
Zwei große Expeditionen während der Monarchie haben wesentlich zur Bedeutung der Sammlung und der weltweiten Meeresforschung beigetragen. 1857 brach die Novara für eine insgesamt 551 Tage lang dauernde Weltumsegelung auf. Ein 21-bändiges Werk - davon sechs Bände nur für Zoologie - brachten bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse. In insgesamt sechs zwischen 1890 und 1898 durchgeführten Fahrten des Dampfers Pola erforschte das Team um den Ichtyologen (Fischkundler) Franz Steindachner die Tiefen des Mittelmeeres sowie des Roten Meeres. Die Ausbeute der Pola-Expeditionen war sehr reichhaltig und von hohem wissenschaftlichem Wert. Zahlreiche bis dahin unbekannte Tierarten konnten von Forschern beschrieben und in vierzehn Serien der Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien veröffentlicht werden.

Seit Menschengedenken waren Meeresschnecken Sammel- und Wertobjekte. Dabei spielte eine kleine gelbe, in den Tropen häufig vorkommende Meeresschnecke mit dem lateinischen Namen Monetaria moneta Jahrtausende lang eine wesentliche Rolle als Zahlungsmittel.
Diese Geldkauris wurden etwa von 2000 v. Chr. bis ins späte 19. Jahrhundert als "Wertaufbewahrungsmittel" in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Ozeaniens verwendet. Obwohl die kleinen, eiförmigen Schnecken mit dem glänzenden Gehäuse keine Währung im herkömmlichen Sinne waren - es fehlte das dazugehörige Bankwesen -, waren sie etwa im Binnenland Uganda bis 1897 gesetzlich anerkanntes Kleingeld. 12 ½ Kauris entsprachen einem Penny.
Beliebte Sammlerstücke
Exotische und vor allem auffällige Schneckenschalen waren darüberhinaus beliebte Ziergegenstände. Porzellanschnecken-Schalen galten schon im Europa des 16. Jahrhunderts als schicker Zimmerschmuck. Die rund 200 Spezies umfassende Familie ist an ihrer Ei- bzw. Birnenform sowie an ihrem Glanz, der an edles Porzellan erinnert, erkennbar. Die reinen Algenfresser leben in einer Wassertiefe bis maximal 200 Meter, viele auch in Küstennähe.
Für Sammler sind nur makellose Stücke von Interesse. Da Porzellanschnecken ihre Schale tagtäglich mit ihrem Mantel umhüllen, sind die Gehäuse abgestorbener Tiere schnell bewachsen und verlieren dabei ihre glatte, glänzende Oberfläche. Sammler bevorzugen daher Lebendfunde, die nur zu Sammlerzwecken getötet werden. Das Interesse an den verschiedenen seltenen Arten ist bis heute ungebrochen, wie man bei zahlreichen internationalen Auktionen sehen kann. Dafür werden für einzelne Exemplare auch mehrere tausend Euro geboten.
Dadurch, dass die Tiere ein sehr weites Verbreitungsgebiet besiedeln - der Großteil lebt im Indopazifik, der von der Ostküste Afrikas bis zur Westküste Amerikas reicht -, gibt es regionale Subspezies mit veränderten Farbmustern und sogar anderen Schalenformen. Einer der "Hotspots" mariner Biodiversität ist die Re-gion der südlichen Philippinen und Indonesiens. Nirgendwo auf der Erde gibt es eine größere Artenvielfalt unter Wasser. Doch der Mensch ist auch hier in großem Stil ein Räuber. Rücksichtslose Fischerei, Abwässer und die Versauerung der Meere durch den erhöhten CO2-Anteil setzen den Muscheln und Schnecken, die den Kalk zum Aufbau ihres Gehäuses notwendig brauchen, stark zu.
Die zunehmende Versauerung der Meere setzt allen kalkbildendenden Meeres-Lebewesen zu. "Während des vergangenen Jahrhunderts haben die Weltmeere fast die Hälfte des vom Menschen emittierten atmosphärischen CO2 absorbiert", meint der Mollusken-Experte und Paläontologe Martin Zuschin von der Universität Wien. Mit dieser Absorption verringere sich auch der Karbonatgehalt, den Muscheln, Schnecken, aber auch Korallen für den Aufbau ihrer Kalkschalen aus Kalziumkarbonat benötigen. "Das hat katastrophale Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme, deren Folgen gar nicht abschätzbar sind", betont der Meeresforscher.
Gefährdete Arten
Rund 23 Prozent aller bekannten marinen Organismen sind Weichtiere. Eine vorsichtige Schätzung geht derzeit von rund 85.000 Mollusken-Arten aus, erklärt Anita Eschner. "Bisher nutzt der Mensch nur einen sehr geringen Teil dieser Vielfalt. Geht sie verloren, bringen wir uns um ein unglaubliches Potenzial an Nutzungsmöglichkeiten, besonders in der Medizin. Neben der Schönheit und Einzigartigkeit dieser Tiere weiß niemand, was passieren würde, wenn ein so wesentlicher Bestandteil des Ökosystems Meer einfach verschwindet. Dies könnte auch für die Menschen ungeahnte Folgen haben", warnt die Expertin.
Wolfgang Weitlaner, geboren 1964, lebt als freier Journalist in Wien. Hauptthemen seiner Berichterstattung sind nachhaltiger Tourismus, Inseln und Ozeane. 2006 wurde sein Foto der "Strombus gigas" als Briefmarkenmotiv der British Virgin Islands gewählt (siehe Abb.).