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In diesen Tagen vor 100 Jahren war die Monarchie schon Geschichte. Die feierliche Ausrufung der Republik erfolgt zwar erst am 12. November 1918, doch mit der Annahme der vorläufigen Verfassung durch die Provisorische Nationalversammlung war die Staatswerdung des neuen Österreichs als Republik eigentlich am 30. Oktober abgeschlossen.
Ungeachtet dessen wirkten die Traditionen und Strukturen der Monarchie weiter fort. Manchmal gebrochen durch die neuen Verhältnisse, mitunter aber auch direkt, und das bis in unsere Gegenwart. Das Allgemeine Bürgerlichen Gesetzbuch wurde 1811 erlassen, das Prinzip der Gemeindeautonomie 1862, das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Bürger 1867. Auch die Vorläufer von ÖVP, SPÖ und FPÖ entstanden allesamt Ende des 19. Jahrhunderts; Rechnungshof und Verfassungsgerichtshof sind ebenfalls keine Erfindungen der Republik; und das Amt des Bundespräsidenten trägt unübersehbare Ähnlichkeiten mit dem eines konstitutionellen Monarchen.
Im breiten politischen Bewusstsein ist davon wenig bis nichts verankert. Mit der Erinnerung an die Monarchie ließ sich in den Anfängen der Republik nicht wuchern. Es dominierten die Erzählungen von Unterdrückung und Rückständigkeit sowie die Mär vom Völkerkerker, die in Teilen zwar durchaus Berechtigung haben, aber eben nicht das Ganze erfassen. Nach 1945 regredierte die Erinnerung dann auf das Märchen von Sisi und dem guten alten Kaiser Franz Joseph. In Wirklichkeit war die eine mit schweren psychischen Problemen belastet und der andere überhaupt ein Unglück für den Staat.
Die Probleme des zusammenwachsenden Europas sorgen nun für neues Interesse an der Doppelmonarchie, ist es dieser doch über einen erstaunlich langen Zeitraum gelungen, unterschiedliche Nationen und Kulturen zu integrieren. Wie solches gelingen konnte, ist heute wieder relevant. Daher erfährt die Sprach-, Religions- und Bildungspolitik der Monarchie neue Aufmerksamkeit.
Doch Geschichte wiederholt sich nicht, nicht einmal als Farce. Gottseidank. Dafür bietet die Vergangenheit einen unerschöpflichen Fundus an Erfahrungen, an denen sich jede Generation von Neuem nach ihren Bedürfnissen bedienen sollte. Die jeweiligen Schlussfolgerungen und Lehren sind dabei ausschließlich und zwingend den Fragen der Gegenwart geschuldet. Wer etwa über die Unterschiede in der politischen Kultur zwischen Österreich und der Schweiz rätselt, dem könnte das Wissen helfen, dass die Eidgenossen bereits 40 Jahre Demokratie praktizierten, bevor sie Parteien hatten. Als Österreich demokratisch wurde, gab es die Parteien schon 40 Jahre.