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Scheibenwischer und Europarecht

Von Waldemar Hummer

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Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Die technische Normung im Binnenmarkt ist weit fortgeschritten. Das belegt auch die Reglementierung des Sichtfeldes und von Scheibenwischern von Traktoren.


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Technische Normung und Typisierung sind für einen ungehinderten freien Warenverkehr im Binnenmarkt absolut notwendig. Allzu gerne würden einzelne Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer eigenen Produkte von ausländischen Erzeugnissen spezielle technische Vorgaben verlangen, die diese - im Gegensatz zu heimischen Produkten - gerade nicht aufweisen.

Damit würden aber sogenannte technische Handelshemmnisse für den Import dieser Waren errichtet werden, die in einem Binnenmarkt strikt untersagt sind. Der freie Warenverkehr steht und fällt nämlich mit einer Harmonisierung der technischen Voraussetzungen, die ein Produkt nach dem gegenwärtigen Stand der Technik erbringen muss, um am freien Verkehr im Binnenmarkt partizipieren zu können.

Binnenmarktrelevante Harmonisierungen, auch von technischen Voraussetzungen von Produkten, können gemäß Artikel 95 EG-Vertrag sowohl durch Verordnungen, als auch durch Richtlinien vorgenommen werden.

Während Verordnungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unmittelbar anwendbar sind, überlassen Richtlinien den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel zur nationalen Umsetzung ihrer Zielvorgaben. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine Binnenmarktharmonisierung durch Richtlinien.

Wie weit eine solche Reglementierung im Einzelnen gehen kann, zeigt sich etwa anhand der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Gestaltung der Scheibenwischer von Traktoren. Bereits im Juni 1974 wurden durch die Richtlinie 74/347/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend das Sichtfeld und die Scheibenwischer von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern einschlägige technische Vorschriften erlassen. Diese Richtlinie wurde im Zuge der Zeit mehrfach geändert, sodass es notwendig wurde, sie neu zu fassen. Eine solche Neufassung kann entweder in Form einer nicht-verbindlichen Konsolidierung oder einer verbindlichen Kodifizierung geschehen.

Bis ins kleinste Detail

Im gegenständlichen Fall wurde durch die Richtlinie 2008/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Jänner 2008 eine neue kodifizierte Fassung der alten Richtlinie 74/347/EWG erlassen, die für Zugmaschinen mit Luftbereifung und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit zwischen sechs und 40 km/h gilt.

In ihrem Anhang sind sowohl das Sichtfeld als auch die Ausgestaltung und Wirkweise der Scheibenwischer im Detail geregelt. So gilt das Sichtfeld dann als ausreichend, wenn der Fahrer einen Teil jedes Vorderrades sehen kann und dieses nicht mehr als durch sechs Verdeckungen eingeschränkt wird, die noch dazu nicht größer als 700 Millimeter sein dürfen.

Was hingegen den Scheibenwischer betrifft, so muss dieser motorisch angetrieben sein und in seinem Wirkungsbereich eine unbehinderte Sicht nach vorne gewährleisten, "die einer Sehnenlänge von mindestens acht Meter auf dem Sichthalbkreis innerhalb des Sichtkeils entspricht".

Die Arbeitsgeschwindigkeit der Scheibenwischer muss mindestens 20 Zyklen je Minute betragen.

Entsprechen die Scheibenwischer diesen technischen Vorschriften, dann dürfen die Mitgliedstaaten landwirtschaftlichen Zugmaschinen weder die EG-Typgenehmigung, noch die Betriebserlaubnis mit nationaler Geltung, ebenso wenig wie die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Benützung derselben in ihrem Hoheitsgebiet verweigern.

Alle früheren Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/europarecht