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Scheidung auf Zeit

Von Clemens Neuhold

Politik

Der Rosenkrieg vor der Wahl ist eröffnet - und er wird "dirty". Doch die zweite Ehe winkt bereits.


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SPÖ -Kampfpapier gegen die Steuerpläne der ÖVP. (Faksimile)

Wien. Auf der Bühne geht es um die ÖVP. Doch das Bühnenbild ist tiefrot. In der SPÖ-Parteizentrale sitzt Finanz-Staatssekretär Andreas Schieder vor einem mächtigen roten Plakat mit der Aufschrift: "SPÖ - die Partei der Arbeit". Neben ihm sitzt Stefan Hirsch, konzentriert, mit strenger Miene, der Pressesprecher jenes Mannes, der für das Bühnenbild und die Inszenierung der SPÖ in diesen Tagen verantwortlich ist: Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos.

Chefsache

Schieder verteidigt nicht, er greift an. Den Koalitionspartner. Die ÖVP. Frontal. "Keine Woche vergeht, in der nicht maßgebliche Vertreter der ÖVP ihre Steuerwünsche der Öffentlichkeit vorstellen." Er zählt auf: "Kinderfreibetrag, Mitarbeiterbeteiligung, Investitionszuwachsprämie, Ende der Gesellschaftssteuer", und er addiert: "Das macht zwischen sechs und elf Milliarden Euro." Er holt Luft und sagt diesen "ÖVP-Wahlzuckerln" den Kampf an. Nicht nur er. Auch Darabos, der seine Partei im Wahlkampfdrama der nächsten Monate als Hüterin der Staatsfinanzen positionieren wird. Und auch Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann. Denn in dieser Phase der Auseinandersetzung bleibt nichts mehr dem Zufall überlassen - schon gar nicht solche Frontalattacken beim Lieblingsthema Steuern. Der Chefdramaturg weiß Bescheid. Muss Bescheid wissen.

In vier Monaten wird gewählt, dazwischen ist Sommer. Da wird es nach fast fünf Jahren Zweckehe für SPÖ und ÖVP Zeit, sich vom Partner zu lösen, den grauen Mantel der lästigen Koalitionsräson abzustreifen, das Profil zu schärfen und im reinen Glanz zu erstrahlen - für die Wähler und für potenzielle neue Partner.

Eine Scheidung bis zur Wahl. Eine Scheidung auf Zeit? Selten war der Anschein so klar. Selten schien eine Neuauflage der "großen" Koalition greifbarer. Die Grünen? Werden als Mehrheitsbeschaffer für beide zu wenige Stimmen haben. Eine Koalition mit Grünen oder Blauen? Auszuschließen. Mit FPÖ und Stronach? Für die SPÖ unter Faymann auszuschließen, für ÖVP-Chef Michael Spindelegger fast auszuschließen. Spindelegger - wie einst Wolfgang Schüssel mit Jörg Haider - im blauen Porsche, diesmal neben Heinz-Christian Strache und einem Frank Stronach am Rücksitz, der beiden von hinten die Welt erklärt?

Doch mittlerweile ist die große Koalition so klein geworden, dass sie um eine gemeinsame Mehrheit über 50 Prozent zittern muss - und rittern. Bei den Kernwählern. Die gehören jetzt mobilisiert. Sonst geht es nicht aus. Mit Steuerpapieren wie jenem von Schieder. Denn auch die SPÖ will Zuckerl verteilen. Doch vorher will sie sich das Geld dafür holen. Von den Reichen. Millionären. Erben. Den "G’stopften", wie es der Vorgänger von Darabos, Günther Kräuter, einmal ausgedrückt hat.

Und da muss die ÖVP scharf dagegenhalten. Das ist sie ihren Kernwählern schuldig.

Im Foyer des Bundeskanzleramts wirft ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch einen Blick auf das Schiedersche Feindpapier und antwortet so flink, als wäre es ihm bereits im Alptraum erschienen: "Das zeigt, wie nervös die SPÖ nach vier verlorenen Wahlen ist. Das ist es nicht wert, es zu kommentieren." Später wird er eine Aussendung dazu machen und den Untergang des Mittelstands beschwören, sollten sich die SPÖ-Steuerpläne für Erbschafts- und Vermögensteuer durchsetzen. Der Finanzsprecher der ÖVP, Günter Stummvoll, der schon viele Wahlkämpfe gesehen hat, stellt klar: "Bei allen steuerlichen Vorschlägen gibt es den Vorbehalt: Wenn wir es uns leisten können."

Das Fell des Bären

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Der SPÖ-Chef denkt jetzt mehr an die Basis als an den Partner.

Ähnliches wird Spindelegger in seiner Österreich-Rede sagen. Er holt innerlich zum Gegenschlag aus. Doch noch steht er im Prunksaal neben Faymann. Zwei Partner, die sich auf die Scheidung vorbereiten und dabei die Sitzordnung nach der zweiten Hochzeit überlegen. Wer wird Finanzminister? Soll sich die SPÖ den Innenminister krallen? Ein getrenntes Umwelt- und Agrarressort?

Sie zählen auf, was sie noch gemeinsam erledigen wollen: Bankeninsolvenzrecht, mehr Wohnungen, Hypo-Rettung. Auch das gehört zum Wahlkampf. Denn vier Monate nur zu streiten, fällt beiden auf den Kopf - wie ein rotes oder schwarzes Wahlplakat.