Russlands Politiker reden das Ende der Wirtschaftskrise herbei - die Realität sieht anders aus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Moskau. Russlands Gastronomiebranche konnte jüngst mit einer Erfolgsmeldung aufwarten: Die Russen gingen wieder öfter aus. Nachdem Restaurants und Lokale mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen hatten, sei der Konsum zuletzt wieder deutlich angestiegen. Der russische Hotel- und Restaurantverband sieht deshalb jetzt das Ende der Krise gekommen.
Positive Wirtschaftsnachrichten häufen sich in diesen Tagen. In der vergangenen Woche werteten Staatsmedien und Regierungsvertreter vor allem die überraschende Stärke des Rubels als Zeichen, dass Russland seine Wirtschaftsprobleme hinter sich lässt. "Das Schlimmste ist vorbei", tönte Finanzminister Anton Siluanow.
Um 1,9 Prozent schrumpfte die russische Wirtschaft im Jänner und Februar. Der Rückgang sei geringer als die Prognosen, vermeldete Premierminister Dmitrij Medwedjew. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew rechnet für dieses Jahr zwar mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von - maximal - drei Prozent. Aber im nächsten Jahr soll es wieder ein Plus von zwei Prozent geben.
Vielen Wirtschaftsexperten sind solche Aussagen jedoch zu optimistisch. Zwar hat der Rubel besonders in den vergangenen Tagen stark zugelegt und einen ansehnlichen Teil des verlorenen Wertes nach dem dramatischen Absturz Mitte Dezember 2014 zurück erkämpft. Russische Analysten warnen jedoch vor einer hohen Volatilität der Währung. Eine neuerliche Abwertung wollen sie nicht ausschließen, denn die Probleme der Wirtschaft sind nach wie vor ungelöst: Es fehlt an Investitionen, Russland hängt zu stark von seinen Öl- und Gasexporten ab, es mangelt an strukturellen Reformen im Land.
"Es ist viel zu früh anzunehmen, das Schlimmste sei bereits vorüber", sagt Analyst Chris Weafer, einer der profiliertesten Kenner der russischen Wirtschaft. Er gehört zu jenen, die sicher sind, dass der Rubel noch in diesem Quartal wieder an Wert verlieren wird. Die bisher gesetzten Maßnahmen der Zentralbank zur Rubel-Stabilisierung hätten keinen nachhaltigen Effekt, bald werde der Ölpreis wieder der entscheidende Treiber sein. Das erste Quartal habe dem Kreml zwar eine Verschnaufpause verschafft, meint Weafer. Doch sollte man besser noch kein Wohlbehagen verspüren, schließlich sei das Jahr noch nicht vorbei.
Weltbank rechnet auch 2016 mit schrumpfender Wirtschaft
Das sieht auch die Weltbank so, die in ihren aktuellsten Schätzung Russland heuerein Minus von 3,8 Prozent prognostiziert. Auch 2016 soll die Wirtschaft demnach weiter schrumpfen: um 0,3 Prozent. Die Folgen der Krise spüren vor allem die Bürger. In den ersten beiden Monaten des Jahres sanken die Reallöhne um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Inflation ging auf knapp 17 Prozent hinauf.
Die Folgen von niedrigem Ölpreis und westlichen Sanktionen drücken auf die Stimmung. Viele wittern darin aber auch eine Chance. So mancher Manager sieht bereits die Renaissance der russischen Industrie gekommen. Wurden früher Anlangen und Maschinen einfach im Westen eingekauft, habe eine Konzentration auf die eigene industrielle Entwicklung eingesetzt - weil es wegen der Strafmaßnahmen an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt, sagen die Optimisten. Besonders kleinere russische Unternehmen sähen in den Strafmaßnahmen die Chance, dass Reformen endlich umgesetzt werden.
Dass die Isolation Russlands "einige Anreize geben kann, um die strukturellen Probleme der Wirtschaft zu lösen", glaubt auch Andrej Yakowlew, Direktor des Instituts für Industrie- und Marktstudien an Moskaus School of Economics. Das bestehende Wirtschaftsmodell kritisiert der Ökonom als "veraltet", das habe schon die Krise 2008/2009 gezeigt. Damals habe die Führung unter Präsident Medwedew versucht, Reformen in die Wege zu leiten und ein liberaleres Wirtschaftssystem zu schaffen. Doch die Moskauer Massenproteste und die Umwälzungen in der arabischen Welt hätten den Prozess gestoppt. "Plötzlich siegte in der politischen Elitedie Angst, dass eine Öffnung zu Ereignissen wie in Libyen und Ägypten führen könnte", so Yakowlew.
Die jetzige Politik sei ein reiner Schutzmechanismus. Zugleich habe die politische Elite die Vision für die Zukunft verloren. Yakowlew spricht deshalb nicht von einer Wirtschaftskrise, sondern von einer "ideologischen Krise" Russlands. Wie lange sie anhält, werde innerhalb der verschiedenen Machtgruppen in Regierung und Kreml entschieden.
Für den Ökonomen gibt es jedenfalls nur eine Lösung: "Es braucht ein neues Wirtschaftsmodell zur Entwicklung, wie im Jahr 1998". Damals hatte die Regierung nach einem dramatischen Rubelcrash einschneidende Wirtschaftsreformen eingeleitet. Heute fehle es jedoch an einer Strategie der politischen Elite. Und im schlimmsten Fall führe ein wieder deutlich steigender Ölpreis dazu, dass sich weiterhin nichts am bestehenden Modell ändere.