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Scheindebatte um Tempo 30 in Wien

Von Christian Rösner

Politik
Christian Rösner ist "Wien"-Ressortleiter.
© Wiener Zeitung

Analyse: Die meisten Wohngebiete sind bereits Zone.


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Wien. Das Vorhaben der rot-grünen Stadtregierung, bis 2013 in Wien flächendeckend Tempo 30 einzuführen, lässt derzeit die Emotionen hochgehen - und diese treiben mitunter seltsame Blüten.

Die ÖVP spricht von "ideologischer Scheuklappenpolitik", die FPÖ von einem "gefährlichen Irrweg". Letztere meint sogar, dass dadurch der Verkehr noch zähflüssiger und der Schadstoffausstoß mehr werden würde: "Bei Tempo 50 fahren Autos und Motorräder benzinsparender und umweltfreundlicher", hieß es. Das BZÖ wiederum vermutet dahinter eine Besserstellung für die Radfahrer - "damit sie nicht mehr das Gefühl haben, dass sie deutlich langsamer unterwegs sind".

Und der ÖAMTC betont, dass flächendeckende 30er-Zonen den Nachteil haben, dass Stellen, bei denen besondere Gefahrensituationen wahrscheinlicher sind, nicht klar hervorstechen.

In Wahrheit handelt es sich aber hier um eine Scheindebatte: Erstens ist das Vorhaben seit dem rot-grünen Koalitionsabkommen bekannt. Also ungefähr seit einem Jahr. Zweitens ist mit "flächendeckend" gemeint: nur im Wohngebiet. Drittens sollen die Bezirke entscheiden, ob und wo sie noch zusätzliche Tempolimits wollen. Viertens gibt es bereits in fast allen Wohngebieten Wiens Tempo-30-Zonen. Und nur weil der Verkehrssprecher der Wiener Grünen, Rüdiger Maresch, nun per Aussendung angekündigt hat, dass die Tempo-30-Offensive aus dem Koalitionsabkommen in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden soll, wird sich an der derzeitigen Situation nicht besonders viel verändern. Die Angst vor einem Verkehrschaos, einer Umweltkatastrophe - oder vor Massen an Radfahrern, die spöttisch lächelnd alle Autos überholen, erscheint selbst Verkehrsexperten als völlig unbegründet.

So gesehen fehlt in der Debatte eigentlich nur noch die Verdachtsäußerung, die Stadt könnte den Begriff "Wohngebiet" aus dem Prostitutionsgesetz heranziehen, um eine Tempo-30-Regelung auch für das Gürtelgebiet zu erwirken.

Vielmehr steht die Frage im Raum, wie man die Einhaltung bestehender, aber auch künftiger Tempo-30-Zonen besser gewährleisten kann. Denn bereits jetzt werden die meisten Zonen ignoriert: Je mehr eine 30er-Zone von Verkehrsteilnehmern als nicht nötig empfunden wird, desto häufiger wird die Bestimmung auch übertreten, bestätigt etwa der ÖAMTC.

Und wenn die Polizei mit Radargeräten unterwegs ist, sprechen alle wieder von einer "reinen Geldbeschaffungsaktion". Und: "Die sollen doch dort hingehen, wo es wirklich gefährlich ist."

Traurige Tatsache ist allerdings, dass in Wien die meisten Unfälle mit Fußgängern auf Schutzwegen passieren. Sicherheit ist also vielleicht weniger eine Frage der Regeln als eine der Bewusstseinsbildung.