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Scheinheilige Glaubenseiferer, die Zwietracht säen

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Analysen

Warum wir Daesh statt IS sagen sollten: Eine Analyse.


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Bagdad. Am Anfang war die Terrormiliz Islamischer Staat wie ein Krebsgeschwür, das sich durch den Mittleren Osten gefressen hat. In den Brutstätten Syrien und Irak machte sie durch bis dahin unvorstellbare Gräueltaten von sich reden: Massenerschießungen, Enthauptungen mit Schwertern vor laufenden Kameras, Verschleppungen von Frauen, Vergewaltigungen, Sklavenmärkte, blinde Zerstörung von Kulturgütern.

Die Spirale der Gewalt nahm kein Ende. Die Dschihadisten wurden zu Monstern, die mit der Verbreitung von Angst und Schrecken in Windeseile Landgewinne machten. Nach fast zwei Jahren seit ihrer ersten Eroberung, Falludscha in der irakischen Provinz Anbar, hat sich ihr grausamer Aktionsradius beständig ausgedehnt. Das Krebsgeschwür ist gewachsen. Von der Kernregion weg überzieht der IS oder ihm angegliederte Gruppen nunmehr Teile Afrikas und Asiens mit seinem Scharia-Kolonialismus, den viele auch als Steinzeitislam bezeichnen. Mit den Anschlägen in Paris ist der Dschihad nun auch in Europa angekommen. Dass die europäische Hauptstadt Brüssel durch seine Schreckensszenarien kürzlich tagelang lahmgelegt war und praktisch kein Leben mehr stattfand, dürften die Gotteskrieger als besonderen Gewinn verbuchen. Keine Restaurantbesuche, keine Konzerte, keine Sportveranstaltungen: all das ist nach ihrer Interpretation "haram" - verboten. Spaß und Vergnügen sei nicht im Sinne Allahs, so ihre rigide Auslegung des Islam.

Für die finsteren Gesellen, die auf Propagandavideos mit langen Bärten, langen Gewändern und schwarzen Fahnen daherkommen, gab es schon viele Namen, die sie sich selbst gegeben haben. Bereitwillig haben westliche Medien sie übernommen. Als der Chef der Truppe Abu Bakr Al-Bagdadi im Sommer 2014 sein Kalifat, den Islamischen Staat, ausrief, verkündete er auch eine Namensänderung. Fortan sollte seine Organisation nicht mehr ISIS oder ISIL genannt werden, sondern lediglich IS. Viele folgten ihm unkritisch. Nicht so die arabischen Medien. Sie weigerten sich von Anfang an, mit dem Wort IS den Dschihadistenstaat zu legitimieren und nannten ihn Daesh.

Beleidigte Terroristen

Zwar steht Daesh (ausgesprochen Da-esch) im Arabischen für "Al-Daula al-Islamija fil-Irak wal-Scham", was übersetzt bedeutet: "Der Islamische Staat im Irak und der Levante", also Isil, aber die Levante umreißt Syrien in seinen historischen Dimensionen, unter Einbindung des Libanon, Israels, den autonomen Palästinensergebieten sowie Jordaniens. Die Terroristen des Islamischen Staates fühlen sich von der Bezeichnung "Daesh" beleidigt und diskreditiert. Schließlich weist "Daesh" das größenwahnsinnige Anspruchsdenken der IS-Terroristen von einer Weltherrschaft nicht nur in seine regionalen Schranken. Der Begriff ist im arabischen Raum zudem sehr negativ behaftet, da er dem Wort "Daeshi" ähnelt - scheinheiligen Glaubenseiferern, die anderen ihre Meinung aufzwingen und durch Säen von Zwietracht der Gemeinschaft schaden. Da er der Wahrheit der Dschihadisten sehr nahe kommt und ihnen sozusagen den Spiegel vorhält, wird "Daesh" von ihnen zunehmend als Schimpfwort betrachtet, wie heftige Debatten im Internet belegen. So hat sich im Irak, in Syrien und mittlerweile in der gesamten arabischen Welt "Daesh" eingebürgert für all diejenigen, die den IS ablehnen. Seit den Anschlägen in Paris findet nun auch in Europa ein Umdenken bezüglich der Terminologie statt. Demonstrativ spricht Frankreichs Präsident Francois Hollande von "Daesh", wenn er den IS meint. Auch David Cameron in London bedient sich des arabischen Wortes und legt eine gewisse Verächtlichkeit in seinen Ausdruck.

Dass die Dschihadisten die Weltherrschaft anstreben, ist schon lange ein offenes Geheimnis. Bereits vor 15 Jahren entwarfen sie einen Sieben-Stufen-Plan zur Eroberung der Welt. Er wird langsam umgesetzt. Der Plan soll sich über zwei Jahrzehnte hinziehen - von 2000 bis 2020 - und am Ende der gesamten Welt die vermeintlich wahre Herrschaft des Islam bescheren.

IS-Chef al-Bagdadi und seine Terrormiliz sind die Trittbrettfahrer der Arabischen Revolutionen, die die Intentionen des Aufbegehrens in ihr Gegenteil verkehren. Statt Freiheit und Demokratie setzen sie auf die Methoden eines totalitären Überwachungsstaats und einer verheerenden Auslegung der Scharia. Der "Endsieg‘" wird übrigens auf das Jahr 2020 angesetzt.