Vor Referendum in Italien Mehrheit gegen Kernenergie. | Viele EU-Länder prüfen Sicherheit. | Rom/Wien. Silvio Berlusconi muss man sich als einen geplagten Mann vorstellen. "Wahnsinnige Vorwürfe" ortet er in den Dokumenten der Mailänder Staatsanwaltschaft, laut denen er die damals noch minderjährige Marokkanerin Ruby 13 Mal für Sex bezahlt haben soll. Koalitionspartnerin Lega Nord verdirbt dem italienischen Ministerpräsidenten die Feiern zum 150. Geburtstag des Landes am heutigen Donnerstag, weil sie gegen den zu diesem Zweck ausgerufenen Feiertag protestiert. Und dann ist da noch die Sache mit der Atomkraft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Unter dem Eindruck der japanischen Katastrophe deutet nämlich manches daraufhin, dass die Regierungs-Pläne, 13 Atomkraftwerke bis 2030 zu errichten, kippen könnten. Mitte Juni soll nämlich darüber eine Volksabstimmung stattfinden. Und derzeit sind laut Umfragen 53 bis 58 Prozent der Italiener gegen Berlusconis Atompläne. Schon einmal wurde Italiens Atomprogramm durch ein Referendum gekippt: 1987 stimmten die Italiener für einen Ausstieg aus der Atomenergie; die vier bestehenden Werke wurden stillgelegt.
Im übrigen Europa zeigt sich in vielen Ländern, die auf Atomkraft setzen, ein ähnlicher Trend wie international (siehe Seite 8) : ein Ja zur Kernenergie, aber die Sicherheit der Atomanlagen soll überprüft werden. Sogar Frankreich, der größte Atomstromproduzent Europas, hat solche Maßnahmen angekündigt. Dennoch sei die Kernenergie ein "grundlegendes Element" der Unabhängigkeit Frankreichs bei der Energieversorgung, sagte Präsident Nicolas Sarkozy am Mittwoch.
Ähnlich Fukushima
Auch Spanien will jetzt zusätzliche Sicherheitstests durchführen, dabei sollen auch die Gefahren von Erdbeben und Überschwemmungen berücksichtigt werden, hieß es am Mittwoch. Sorgen bereitet vor allem der 27 Jahre alte Siedewasserreaktor in Cofrentes in Ostspanien, der fast baugleich mit dem japanischen Unglückswerk im japanischen Fukushima ist. Die Regierung hatte erst einen Tag vor dem Beben in Japan die Betriebsgenehmigung um zehn Jahre verlängert.
Ungarn plant gleichfalls, die Sicherheit seines Kraftwerks in Paks an der Donau zu überprüfen. Das Werk soll bis 2025 laufen. Ungerührt auf ihre hohen Sicherheitsstandards verweisen weiterhin Slowenien, die Slowakei und Tschechien, wo sogar die sozialdemokratische Opposition vor "Hysterie" warnt.
In Belgien könnte hingegen die japanische Katastrophe zu einer Revision der geplanten Laufzeitverlängerung führen. Die sieben Reaktoren des Landes sollten ursprünglich zwischen 2015 und 2025 ihren Betrieb einstellen, 2009 vereinbarte die Regierung aber eine Verlängerung für die drei ältesten Reaktoren. Das Parlament hat dem freilich noch nicht zugestimmt.
In der Schweiz schließlich wurden vorerst sämtliche Pläne zu Kraftwerksneubauten auf Eis gelegt. Wirtschaftsministerin Doris Leuthard beauftragte die Atomaufsicht, aus der Analyse des Unfalls in Japan "neue und schärfere Sicherheitsstandards abzuleiten". Erst dann soll wieder diskutiert werden.