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Schengen-EDV wird zum Fiasko

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Kosten könnten 140 Millionen Euro übersteigen. | Stimmen für Abbruch mehren sich. | Brüssel. In einem sind sich praktisch alle in der EU einig: Die europäischen Polizeidienste sollten für die grenzüberschreitende Verbrecherjagd auch zeitgemäße Technik zur Verfügung haben. Dafür sollte das so genannte Schengen-Informationssystem II (SIS II) einen Beitrag leisten, eine gemeinsame Fahndungsdatenbank, in der gesuchte Personen auch anhand biometrischer Merkmale wie Fingerabdrücke registriert würden.


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Schon 2006 hätte SIS II ans Netz gehen sollen. Bis heute hat das mit der Umsetzung betraute belgisch-französische Konsortium HP/Steria aber noch nicht viel zustande gebracht. Und die für die Projektleitung verantwortliche EU-Kommission sitzt nun auf Rechnungen über mehr als 80 Millionen Euro. Die Mitgliedstaaten überlegen einen Abbruch.

So steigen die Zweifel an der korrekten Abwicklung: "Es besteht der Verdacht einer chaotischen Projektführung", sagte die in der Europäischen Volkspartei zuständige CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier zur "Wiener Zeitung". "Ob auch Verstöße gegen Ausschreibungsregeln und Mindeststandards bei der Vergabe von Haushaltsmittel vorliegen, muss der Rechnungshof prüfen." So habe sie etwa gehört, dass die Strafzahlungen für das Konsortium stets geringer gewesen seien als die zusätzlichen Summen für die Fehlerbehebung aus dem EU-Budget, sagte die CSU-Politikerin: "Die Firma hätte an jedem Fehler verdient."

Fix sei daher, dass für 2011 kein Cent mehr für SIS II genehmigt werde, wenn die EU-Kommission nicht exakt angeben könne, wofür das Geld benötigt werde. Mit ihrem Vorschlag, einfach weitere 28 Millionen Euro hineinzupumpen, wolle die EU-Kommission dagegen scheinbar einen Freibrief. Eine Fertigstellung des Systems 2014 sei "viel zu spät", erklärte Hohlmeier. 2012 sei die längste denkbare Frist.

Tests gescheitert

Für die Kommission stehe auch ihr Renommee als Projektleiter auf dem Spiel, hieß es in Parlamentskreisen. Experten schätzen den zusätzlichen Investitionsbedarf zudem auf bis zu 60 Millionen Euro.

Und so stehen die Zeichen auf Abbruch: "Definitiv gescheitert" sei nämlich auch die Wiederholung des letzten entscheidenden Tests für das SIS II, erklärte Hohlmeier. Sie wisse aus den teilnehmenden Ländern Deutschland und Österreich, dass "sofort bei KO-Kriterien erhebliche Fehler" aufgetreten seien, die ein positives Testergebnis ausschließen. Dabei sei die Prüfung mit bloß 15 Millionen Datensätzen durchgeführt worden; in der Praxis wäre das System mit anfangs 120 Millionen Daten mit steigender Tendenz konfrontiert.

Günstiger wäre es womöglich, das bereits seit Jahren laufende und erst vor kurzem überholte Schengen-Informationssystem I+ auszubauen und ihm die Datenbanken mit den biometrischen Merkmalen anzuhängen. "Es sollte nicht weiterhin gutes Geld einem schlecht geführten Projekt hinterhergeworfen werden", meinte auch FDP-Europaabgeordneter Alexander Alvaro. "Das Budget für SIS II sollte eingefroren werden, bis die Tests erfolgreich verlaufen und das gesamte Projekt umfassend überprüft wurde."