Offenkundige Pannen des Verfassungsschutzes bei der Überwachung des Wien-Attentäters bringen den Innenminister unter Druck. Gleichzeitig werden damit ÖVP-Forderungen nach mehr rechtlichen Instrumenten unterlaufen.
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Ex-Innenminister und FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl nahm besonders drastische Worte in den Mund und bezeichnete das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) als "Sauhaufen". Mehr Gewicht hat der Befund des Vorarlberger Vizelandeshauptmannes Johannes Rauch, weil er aus den Reihen des grünen Koalitionspartners der ÖVP kommt. Er sprach von einem "Scherbenhaufen" beim Verfassungsschutz, der seit 15 Jahren einem ÖVP-geführten Innenministerium untersteht.
Es hätte gar nicht SPÖ-Klubvizechef Jörg Leichtfried bedurft, der Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) eine Dringliche Anfrage zu Ermittlungsfehlern im Vorfeld des Wien-Attentats bei der nächsten regulären Nationalratssitzung androhte. Die Österreicher sahen in den vergangenen Tagen auch so, wie stark der Innenminister seit dem Anschlag unter Druck geraten ist.
Überwachung abgebrochen
Nehammer ist unter dem "Scherbenhaufen" gleichsam verschüttet. Die Bevölkerung ist verwundert über die offensichtlichen Pannen der Terrorismusbekämpfer im heurigen Sommer. Der Tiefpunkt wurde am Mittwoch erreicht, als bekannt wurde, dass die BVT-Beamten allem Anschein nach im Sommer die Beobachtung des österreichisch-nordmazedonischen Ex-Häftlings abgebrochen haben. Das passierte in einer Phase, in der der spätere Attentäter F. vor den Augen der Verfassungsschützer mit alarmierenden Aktivitäten auffiel. Auf diese wurden Verfassungsschützer von benachbarten Nachrichtendiensten im Ausland ausdrücklich aufmerksam gemacht.
Da war zuerst die Warnung aus der Slowakei, dass F. mit einem zweiten Mann heuer im Juli vergeblich versucht hat, Munition für ein Sturmgewehr nur wenige Kilometer hinter der österreichischen Grenze zu kaufen. In der Vorwoche wurden diese Hinweise von den Polizeispitzen bei einer Pressekonferenz mit dem Innenminister noch als zu wenig eindeutig mit Bezug auf den späteren Attentäter dargestellt.
Schließlich war es aber verwunderlich, dass von Juli bis zum Wiener Terroranschlag am 2. November nichts unternommen wurde gegen den islamistischen Gefährder. Spätestens Mitte Oktober musste nämlich nach den bisherigen Informationen auch in Wien klar sein, bei wem es sich um den Mann, der die Munition kaufen wollte, gehandelt hat.
Erste personelle Konsequenzen gezogen
Kaum waren am Freitag Konsequenzen mit der Absetzung des Chefs des Wiener Landesverfassungsschutzes und mit der Schließung zweier Moscheen gesetzt, wurde es für die Terrorismusbekämpfer noch blamabler. Unter den Augen der Verfassungsschützer gab es, wie aus Deutschland berichtet wurde, Treffen mit deutschen Islamisten und Gesinnungsfreunden aus der Schweiz in Wien. Damit rückt die Frage in den Fokus, ob der Anschlag von Nehammers Experten nicht doch verhindert und das Leben von vier unschuldigen Menschen gerettet hätte werden können.
Momentaner Stand ist, dass sich eine unabhängige Untersuchungskommission mit den Vorkommnissen im Vorfeld des Attentats beschäftigen wird. Der Innenminister hat das in der Vorwoche noch als seinen Vorschlag in der Öffentlichkeit darzustellen versucht. Unter dem massiven Druck der Opposition im Hohen Haus blieb ihm angesichts der brisanten Hinweise auf offenkundige Pannen kaum eine andere Option übrig.
Die zumindest zweifelhafte Rolle der Verfassungsschützer in den Monaten vor dem Terrorattentat bringen aber nicht nur den Innenminister unter Druck, auch wenn ein Misstrauensantrag gegen die Mehrheit von ÖVP und Grünen im Nationalrat gescheitert ist. Die Berichte über Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten unterlaufen auch die Forderungen der ÖVP, es brauche weitere rechtliche Mittel, um künftig Anschläge schon im Vorfeld zu vereiteln.
Vorstoß für Sicherungshaft
Innerhalb der ÖVP wurden bereits Stimmen wie jene des oberösterreichischen Landeshauptmannes Thomas Stelzer für die Einführung einer Sicherheitshaft ohne ganz konkreten Tatverdacht laut. Das würde auf eine Zerreißprobe innerhalb der türkis-grünen Koalition hinauslaufen, weil die Grünen ein solches Vorhaben intern nur schwer mittragen könnten. Auch werden durch die ausländischen Warnungen die nach dem Terrorangriff vorgebrachten Vorwürfe der ÖVP an die Justiz relativiert. Nehammer hatte ihr vorgeworfen, sie habe den verurteilten Terroristen und späteren Wien-Attentäter vorzeitig aus der Haft entlassen. Welche rechtlichen Mittel sich die ÖVP als Verschärfung wünscht, hat bisher weder Bundeskanzler Sebastian Kurz noch Innenminister Nehammer präzisiert.
In Reibereien mit der Justiz verstrickt
Zum verstörenden Eindruck tragen auch die Reibereien bei, die sich zuletzt im Ibiza-U-Ausschuss zwischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und dem ÖVP-geführten Innenministerium gezeigt haben. In Erinnerung ist auch noch, dass die Justiz bis hin zu Justizministein Alma Zadic (Grüne) lange nicht über den Fund des Ibiza-Videos informiert wurden.
Innenminister Nehammer und die ÖVP haben zuletzt Ex-Innenminister Kickl als Verantwortlichen für den desaströsen Zustand des BVT an den Pranger gestellt. Gleichzeitig kommt jedoch die angekündigte Reform des Bundesamts für Verfassungsschutzes abgesehen von einem ersten, inzwischen gesetzten Schritt nicht voran. Dabei ist der jetzige Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, genau mit diesem Auftrag schon als Salzburger Landespolizeidirektor heuer im Winter nach Wien geholt worden. Nun sollen bis Jahresende die Pläne für den Amts-Umbau fertig sein.
Daneben wird die Opposition dafür sorgen, dass Nehammer als Innenminister noch so manche Frage rund um die Rolle der Terrorismusbekämpfer vor dem Wiener Attentat wird beantworten müssen. Die Neos haben schon den nächsten Schritt gesetzt und fordern jetzt die Einsetzung eines parlamentarischen "Geheimdienstausschusses", um etwaige Behördenversäumnisse zu untersuchen.