Seit den Zeiten der Sowjetunion übt der Sänger Juri Schewtschuk Kritik am politischen System seines Landes. Jetzt hat er Russlands Ministerpräsidenten Wladimir Putin im Visier.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Juri Schewtschuks Augen wirken gelegentlich, als hätten sie so viel gesehen, dass sie nichts mehr aufnehmen wollen. Der 53-Jährige hat in seinem Leben schon genug erlebt: Die Unterdrückung in der Sowjetunion beispielsweise, oder den Krieg in Tschetschenien, oder wiederum den Krebstod der Mutter seines Kindes.
Seine Erlebnisse und Gedanken verarbeitet Schewtschuk in Liedern, die ihn gemeinsam mit seiner Band DDT zur gefeiertsten Rockgröße Russlands gemacht haben. "Rock ist nicht, wenn alles gut ist, sondern wenn etwas schlecht ist. Und darüber muss man singen und sprechen", erklärte Schew-tschuk einmal.
Seine Systemkritik bescherte dem ausgebildeten Kunstlehrer schon früh den Argwohn der Mächtigen, aber auch die Begeisterung der Jugend. DDT - benannt nach dem Insektenvertilgungsmittel - formierte sich 1982 als Untergrundband, zu einer Zeit, als verbotene Musik in der Sowjetunion heimlich auf Röntgenbilder geprägt und weitergegeben wurde. Die Behörden machten dem überzeugten Pazifisten nach Möglichkeit das Leben schwer und hinderten ihn, öffentlich aufzutreten.
Seine offensichtliche Kritik am sowjetisch-afghanischen Krieg machte die Situation für ihn nicht einfacher. "Schieß nicht", bittet Schewtschuk in einem seiner ersten Lieder einen Buben, der mit seiner Schleuder auf einen Sperling schießen will. Einen Krieg später holen den zum Veteranen gealterten Buben im Kampf gesprochene Worte ein: "Bitte, schieß nicht."
Wegen des politischen Inhalts verbot die Regierung das erste Album von DDT, während die Band den Beinamen "Schrecken des KGB" bekam. Trotzdem - oder gerade deshalb - wuchs ihre Popularität.
Die Widrigkeiten der Sowjetunion überstanden, avancierte Schewtschuk zum landesweiten Star. Mit der politischen Situation in Russland ist er allerdings auch nach Glasnost und Perestroika unzufrieden. Das rieb er vor kurzem in aller Öffentlichkeit Ministerpräsident Wladimir Putin unter die Nase. Putins Leute hätten ihn zwar davor gewarnt, heikle Fragen zu stellen, erklärte Schewtschuk bei einer Wohltätigkeitsfeier. Trotzdem wolle er vom Ministerpräsidenten wissen, warum in Russland seit Jahrhunderten immer dasselbe System herrsche: Reiche Fürsten genössen zahllose Privilegien, während das normale Volk geknechtet werde. Die Pressefreiheit beschränke sich auf "eineinhalb Zeitungen" und die Polizei diene lediglich ihren Geldbörsen und Bonzen. Friedliche Demonstrationen würden von Sicherheitskräften repressiv verhindert.
Putin wirkte während des verbalen Angriffs zwar angespannt, doch zum Erstaunen vieler ging er auf das Thema ein, suchte Erklärungen. Er sagte sogar, die Behörden hätten kein Recht, friedliche Kundgebungen von Andersdenkenden zu verbieten. In den Medien war man sich rasch einig, dass es wohl die härteste Kritik war, die sich Putin jemals gefallen lassen habe. Allerdings wurde schon bald darauf die Demonstration der "Nichteinverstandenen" - zu denen sich Schewtschuk zählt - gewaltsam aufgelöst.