Vogelpaare wechseln sich beim Brüten in sehr unterschiedlichen Rhythmen ab.
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Berlin. Die erste Zeit mit dem Nachwuchs verlangt von den Eltern einiges: Da muss der Lebensrhythmus so aufeinander abgestimmt werden, dass sich immer jemand um die hilflosen Kleinen kümmert, die man am besten keine Minute aus den Augen lässt. Gemeinsam essen oder ins Kino gehen ist kaum noch drin, wenn Schichtbetrieb beim Nachwuchs angesagt ist. Das ist bei Watvögeln nicht viel anders als bei uns Menschen, wissen Forscher seit langem.
Recht überraschend kommt dagegen die Beobachtung, die Bart Kempenaers und Martin Bulla vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen gemeinsam mit 74 Kollegen aus aller Welt in der Fachzeitschrift "Nature" schildern: Die Vogeleltern teilen ihre Schichten sehr unterschiedlich ein. "Da löst das Männchen seine Partnerin einmal mittags um zwölf Uhr beim Brüten ab, anderntags kommt die Ablösung aber erst nachmittags um drei Uhr zum Nest", schildert Bulla das Verhalten eines Paares.
Insgesamt 729 Nester von 32 Vogelarten aus so unterschiedlichen Regionen wie dem hohen Norden Alaskas, Mitteleuropa, der Arabischen Halbinsel oder den Falkland-Inseln haben die Forscher beobachtet und dabei riesige Unterschiede festgestellt. Bei einigen Paaren wechselten die Schichten zwanzig Mal am Tag und damit fast im Stunden-Rhythmus, während andere Vögel bis zu 50 Stunden auf dem Nest ausharren mussten, bevor ihre Ablösung endlich kam. Dabei warten die Eltern sehnsüchtig auf ihren Partner, weil sie fressen möchten, um bei Kräften zu bleiben.
Ein Elternteil aber sollte immer auf den Eiern sitzen, damit diese nicht auskühlen oder im Maul oder Schnabel von Nesträubern landen. "Die Nester von Watvögeln sind daher praktisch immer besetzt", weiß Bulla. Nur wechseln die Schichten eben in sehr unterschiedlichen Rhythmen. Und das nicht nur zwischen Tieren in verschiedenen Regionen und zwischen unterschiedlichen Arten, sondern auch bei der gleichen Art im selben Gebiet und sogar beim gleichen Vogelpaar im Laufe der Brut.
Sind die Eier frisch gelegt, wechseln sich Strandläufer zum Beispiel alle drei bis fünf Stunden auf dem Nest ab. Später kommt der Schichtwechsel erst nach elf Stunden und kurz, bevor die Küken schlüpfen, verkürzt sich der Rhythmus wieder. Beim Kiebitz wiederum absolvieren die Weibchen die elfstündigen Nachtschichten, während die Partner sich tagsüber bei den elterlichen Pflichten abwechseln.
Besonders ausdauernd
Natürlich fahndeten die Forscher nach den Ursachen für solche starken Unterschiede - und konnten die üblichen Verdächtigen rasch entlasten: Vogelarten mit geringer Körpergröße speichern normalerweise weniger Energie und sollten daher öfter fressen als größere Arten. Aber auch bei diesen Winzlingen gibt es Arten, die bis zu 20-Stunden-Schichten auf dem Nest absolvieren, und die Forscher fanden keinen Zusammenhang zwischen der Körpergröße und den Schichtlängen.
In den kühlen Regionen der Arktis benötigen Tiere mehr Energie als in wärmeren Gefilden. Theoretisch sollten die Vogeleltern sich im hohen Norden also häufiger abwechseln, um öfter zum Fressen zu kommen. Die Watvögel der Arktis aber ignorieren diese Theorie und sitzen im Durchschnitt sogar länger auf den Eiern als die Kollegen im wärmeren Süden. Selbst ihre innere Uhr missachten etliche Arten.
Der Aspekt der Tarnung
Ein wichtiger Unterschied aber kristallisierte sich bei der Studie doch heraus: Verlassen sich Vogeleltern auf ihre Tarnung, dauern ihre Schichten länger als bei Arten, die wie Austernfischer offen und ohne Tarnkleid brüten, einen potenziellen Angreifer aber mit lautem Geschrei und notfalls auch mit körperlichen Attacken zu verscheuchen versuchen. Der Große Schlammläufer dagegen verlässt sich darauf, dass sein braun-weiß gesprenkeltes Federkleid mit seinem ähnlich gefärbten Brutplatz verschmilzt.
Harrt dieser Vogel also bewegungslos auf den Eiern aus, übersehen Menschen und andere potenziellen Eierdiebe ihn fast immer. Erst wenn sie aufs Nest treten und der Vogel sich doch zur Flucht entschließt, entdeckt man diese Tiere im Tarnkleid. Bewegt sich das Tier, fliegt die Tarnung allerdings auf. Ein häufiger Schichtwechsel erhöht daher das Risiko des Entdeckt-Werdens enorm. Genau deshalb dauern die Schichten bei diesen Arten wohl besonders lang.