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Schicksalsjahr für den Gottesstaat

Von Arian Faal

Politik
Die Iraner würdigen immer noch ihren Führer Khomeini, hier in seinem Mausoleum südlich von Teheran. Foto: reu

Revolutionsfeiern im ganzen Iran. | Heikle Präsidentschaftswahlen. | Teheran/Wien. Als der damalige US-Präsident Jimmy Carter am Neujahrsabend 1977/78 bei Schah Reza Pahlawi, dem Erben des Pfauenthrons, in Teheran weilte, lobte der mächtigste Mann der Welt seinen Gastgeber in seinem Silvester-Toast: "Der Iran ist eine Insel der Stabilität in einer der unruhigsten Regionen der Welt, dies ist Zeugnis für Ihre Führungskraft, Eure Majestät, und für den Respekt, die Bewunderung und Liebe, die Ihnen Ihr Volk entgegenbringt."


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Diese Worte sollten später als eine der groteskesten politischen Fehleinschätzungen des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Denn nur eine Woche nach Carters Auftritt kam es in mehreren iranischen Städten zu gewalttätigen Demonstrationen. Der Anlass: ein beleidigender Zeitungsartikel über Ayatollah Ruhollah Khomeini, den religiösen Führer der islamisch geprägten Opposition, der im Exil im benachbarten Irak und später dann in Paris lebte. Innerhalb von zwei Tagen starben bei Zusammenstößen mit Polizei und Militär 70 Menschen. Weitere Demonstrationen und eine unaufhaltsame Anti-Monarchie-Bewegung veranlassten den Herrscher schließlich ein Jahr nach Carters Hoch zur Flucht aus seinem eigenen Land. Mit dem Abschiedsgruß "Ich bin müde und brauche eine Pause" verließ Pahlawi am Mittag des 16. Januar 1979 den Teheraner Flughafen ließ der Islamischen Revolution ihren Lauf. Zwei Wochen später, am 1. Februar 1979, kehrte der schiitische Geistliche Ayatollah Ruhollah Khomeini triumphal aus dem französischen Exil zurück. Und der Iran wurde unter seiner Federführung schlagartig in einen Gottesstaat mit strikten Regeln verwandelt.

30 Jahre danach werden in diesen Tagen im ganzen Land Revolutionsfeiern abgehalten. Theater- und Filmfestspiele, Massenveranstaltungen mit Reden aller wichtiger noch lebender "Revolutionsmitbegründer", Kundgebungen und Ausstellungen sollen an den Sturz des Schahregimes vor 30 Jahren und die Gründung der Islamischen Republik erinnern.

Soziale Gegensätze

Doch im Land schwelt eine politische Krise, weil der Rückgang der Ölpreise die ganze Wirtschaft erschüttert. Staatspräsident Mahmud Ahmadinejad steht vor einem Finanzchaos. Das Loch in der Staatskasse wächst unaufhaltsam, die Ölmilliarden reichen nicht mehr, um gewaltige Subventionen und Importe zu finanzieren. In Teheran wächst die Unsicherheit, die Kritik an der Regierung wird lauter. In den Städten murren Frauen über die islamischen Kleidungsvorschriften, und wenn es im Frühjahr warm wird, tragen sie dünnere Kleider und kleinere Kopftücher. Nur weil Polizisten die Einhaltung der Kleidervorschriften überwachen, verhüllen viele junge Frauen ihr Haar.

Eine Konsumwelle schwappte seit Ende der Neunzigerjahre über das Land, was einerseits zu einer Entpolitisierung, andererseits zu einem Wandel der Lebensweise führte. Heute besuchen 2,8 Millionen Perser die Universitäten des Landes, das sind 15 Mal so viele wie vor der Revolution. Vor der Revolution lag das Heiratsalter bei 21 Jahren. Heute lassen sich junge Iraner fünf Jahre mehr Zeit, in den Städten sind Frauen durchschnittlich 26 Jahre alt, Männer 31, wenn sie erstmals heiraten.

Der starke Rückgang der Geburtenrate führt zu drastischen Veränderungen im Wohnungsbau. Oft sind neue Apartments nur halb so groß wie früher. Das liegt freilich nicht nur am Schrumpfen der Familien. Denn weil die Immobilienpreise explodierten, können sich immer weniger Iraner eine eigene Wohnung leisten, und wenn, ist die dann kleiner als die elterliche.

Um das Aufbrechen der sozialen Gegensätze abzuschwächen, ließ Ahmadinejad für die Armen Häuser bauen. Das war nur möglich, weil der Staat Zement- und Stahlimporte mit Milliarden subventionierte. So wurde der Konsum angeheizt, ohne dass die Wirtschaftskraft des Landes nachhaltig wuchs.

Zäsur: Krieg gegen Irak

Dabei war einer der Eckpfeiler der Revolution ein Umbau des Wirtschaftssystems gewesen. Anders als unter dem Schah sollte die Industrie eigenständig werden und nicht nur am Tropf der Öleinnahmen hängen. Doch der acht Jahre lange Krieg gegen den Irak warf das Land weit zurück. Wirtschaftliche Ressourcen wurden aufgezehrt, um einen militärischen Zusammenbruch abzuwenden.

Auch innenpolitisch hatte der Krieg enorme Auswirkungen. Er bot die Möglichkeit, Gegner der islamischen Führung auszuschalten. Bis heute hat der Krieg die politische Kultur stärker geprägt als der Sturz des Schahs. Zusätzliche, indirekte Rückendeckung bekam das Regime in Teheran durch die missglückte amerikanische Irak-Invasion 2003. Dadurch konnte es seine politische Großmachtstellung im Nahen Osten nachhaltig stärken.

Eines jedoch ist in Teheran unumstritten: Die Islamische Republik steht ausgerechnet im Jubiläumsjahr vor weit reichenden Entscheidungen: Präsidentschaftswahlen im Juni, die etwaige Neuordnung des Verhältnisses zu Washington und eine Lösung im Atomstreit sind neben der inneriranischen Wirtschaftskrise die großen Herausforderungen der Führung des Iran.

In dieser Situation dürften sich die Grenzen der Präsidentenmacht zeigen. Immer noch entscheidet die wichtigen Fragen der oberste Geistliche, Ayatollah Seyed Ali Khamenei. Er hat auch schon in den vergangenen Jahren die Politik aus dem Hintergrund bestimmt. Nur im Schatten des Revolutionsführers, mit dessen Zustimmung, konnte Ahmadinejad seine radikale Außenpolitik entwickeln. Genau wie Revolutionsführer Khomeini zentrale Entscheidungen der Islamischen Republik in den Achtzigerjahren fällte - wie die Freilassung der bei der Besetzung der US-Botschaft als Geiseln genommenen US-Diplomaten oder beim Waffenstillstand im Krieg mit dem Irak -, so wird auch Khamenei über die künftige Entwicklung der Beziehungen zu den USA und die Weichenstellung für die iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni entscheiden.

Und Khamenei weiß: Angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung wegen der steigenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme wird es seinem ehemaligen Günstling Ahmadinejad schwer fallen, die Präsidentschaftswahlen ein zweites Mal zu gewinnen.

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"USA: Zeit für "lebhafte Diplomatie"":http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3856&Alias=wzo&cob=394802

+++ Wissen: Islamische Revolution