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Schicksalstage für Westerwelle

Von Gerhard Lechner

Europaarchiv

Entscheidung am Montag erwartet. | Flügelkämpfe in FDP voll entbrannt. | Berlin/Wien. Als "Spaßpolitiker" war Guido Westerwelle einst verschrieen, als er den "Big Brother"-Container besuchte und in eher peinlichen Inszenierungen mit dem "Guidomobil" durch die Lande tourte.


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Die ostentativ zur Schau gestellte gute Laune ist dem deutschen FDP-Chef angesichts der desaströsen Wahlergebnisse in der letzten Zeit freilich zunehmend abhanden gekommen: Hatte Westerwelle mit einem emotionalen Auftritt vor der Parteibasis im Jänner eine im Gang befindliche Obmanndebatte noch einmal abwürgen können, ist diesmal Feuer am Dach des liberalen Hauses. Nicht nur Hinterbänkler und Landespolitiker, auch Spitzenleute der Freidemokraten stellen den Außenminister und Vizekanzler nach den Niederlagen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Parteivorsitzenden zur Disposition. Bereits am Montag, eine Woche früher als geplant, soll das Parteipräsidium über Westerwelle beraten. Angeblich ist dieser bereit, im Mai als FDP-Chef abzutreten, sein Ministeramt will er behalten. Als potenzielle Nachfolger gelten Generalsekretär Christian Lindner, Gesundheitsminister Philipp Rösler oder Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Auf dem Prüfstand

Während Westerwelle in China weilt, hört man selbst von deklarierten Gefolgsleuten wie FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger Sätze wie: "Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, inhaltlich wie personell." Und sie schob nach, dass sie mit "alles" auch den Parteivorsitzenden meine. Sie selbst wolle jedenfalls kein "Bauernopfer" für einen Verbleib Westerwelles an der Spitze sein.

Basis dieser Befürchtung sind Gerüchte, der trickreiche Westerwelle könne versuchen, sich mit einer Umbildung der Regierungsmannschaft oder der Parteispitze noch einmal zu retten. Vor allem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle böte sich als passender Sündenbock an: Er hatte das deutsche Atom-Moratorium vor Vertretern der Industrie als Wahlkampfmanöver bezeichnet, was im laufenden Landtagswahlkampf wenig hilfreich war.

Der Minister, der zum einflussreichen "Schaumburger Kreis" in der FDP zählt, gehört in den nun voll entbrannten parteiinternen Flügelkämpfen zu den Wirtschaftsliberalen: Dass Generalsekretär Lindner die drei ältesten deutschen Atommeiler endgültig abschalten will, sieht Brüderle als dessen Privatmeinung. Während Jungpolitiker um Lindner oder Gesundheitsminister Rösler das Themenspektrum der Partei verbreitern wollen, warnt Ex-Fraktionsvorsitzender Martin Lindner davor, den Liberalen "jetzt einen grünen Anstrich zu geben. Die Leute wählen dann doch lieber das Original." Ein Linksruck wäre "fatal". Er und Brüderle setzen auf klassisch wirtschaftsliberale Themen wie Leistungsgerechtigkeit und Steuersenkung.

Die Jungen, die unter Westerwelle Karriere gemacht haben, schrecken noch vor dem Königsmord zurück. Ein FDP-Altpolitiker hat sie jedoch bereits aufgefordert, sich zu "zeigen": Wolfgang Gerhardt. Er war vor zehn Jahren von der Macht geputscht worden - von Westerwelle.