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Busek: Die ÖVP ist an einem Scheideweg angelangt. | Die Kommentare zum Ergebnis der letzten Nationalratswahl sind weitgehend verklungen beziehungsweise durch die Regierungsbildung überdeckt. Egal, was bei dieser herauskommt, die ÖVP ist an einem Scheideweg. Die Feststellung, dass sie zwischen Skylla und Charybdis bei der Entscheidung für Regierung oder Opposition sei, ist sicher richtig. Das prozentuelle Ergebnis, das tiefste in der Geschichte, ist das eine Warnsignal, das andere besteht darin, dass offensichtlich eine jüngere und junge Generation (Wahlalter 16!) die ÖVP nicht sonderlich attraktiv gefunden hat, dass es der Sozialdemokratie ähnlich ging, tröstet nicht.
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Ebenso herausfordernd ist die Tatsache, dass sich offensichtlich ein "Drittes Lager" gebildet oder wieder gebildet hat, das mit Sicherheit nicht ständig durch den Hinweis auf die Nazi-Zeit und schlagende Burschenschafter dämonisiert werden kann. Einerseits sind die Kenntnisse über diese Zeit bei der jüngeren Generation zu gering, um wirklich abschreckend zu sein, andererseits ist mit Sicherheit die Motivlage für die Wahlentscheidung eine andere: die Präsentation der ÖVP ist langweilig, überaltert und trifft nicht die richtigen Probleme.
Natürlich war es auch ein gewisses Protestpotential, aber die üblichen Erklärungsweisen hinsichtlich Wahlkampfattraktivität des Spitzenkandidaten etc. greifen entschieden zu kurz. Es ist eine strukturelle Veränderung daraus abzulesen, die eigentlich nicht nur dem neuen ÖVP-Obmann den Schlaf rauben kann. Die SPÖ hat ähnliches erlebt, weil sie in ihren klassischen Bezirken in Wien einen Niedergang erlebt hat, welcher der Ankündigung von H.C. Strache, dass es beim nächsten oder übernächsten Mal um den Wiener Bürgermeister geht, einige Aussagekraft verliehen hat.
Die üblichen Reformerklärungen (Abschaffung der Bünde, besseres Parteimanagement etc.) sind so sinnlos wie die Versprechen, eine neue Art von Koalition zu bilden, die Regierungsarbeit anders zu präsentieren und wie üblich den Dialog mit dem Wähler zu verbessern. Eine Koalition bedeutet immer Kompromiss und die Formen des Regierens und Politik Machens lassen sich nicht so ohne weiteres verändern.
Es muss eine Nachdenklichkeit darüber einsetzen, wofür die ÖVP steht. Eine Belebung des christlich-sozialen Erbes reicht ebenso wenig, denn leider muss die Frage gestellt werden, wie christlich man im ehemals katholischen Österreich noch fühlt. Andere Chiffren wie liberal und konservativ sind ebenso aussageschwach bis sinnentleert.
Angesichts der Finanzkrise, der dramatischen Veränderungen in Europa und in der globalisierten Welt ist eigentlich mehr eine prinzipielle Debatte darüber angebracht, wofür Politik stehen soll. Da kommt die Frage nach den Werten sofort herein und der Zweifel, ob die allgemein vorhandene Beliebigkeit wirklich in die Zukunft führt? Das Warenhausprinzip des politischen Angebots greift nicht mehr, wenngleich die Vordergründigkeit der Politik und der zeitweise Erfolg damit nicht unterschätzt werden soll. Persönlich bin ich aber überzeugt, dass bei der jüngeren und jungen Generation eine Reihe von Überzeugungen greifen müssten. Politik sollte sich leisten, die Probleme wirklich zu benennen, sie in Härte auszudiskutieren und bei einem Standpunkt zu bleiben.
Ebenso wäre es sinnvoll, die Prioritätenliste der Politik zu ändern. Die gegenwärtigen Erschütterungen unserer wirtschaftlichen Welt sollten dazu führen, Vorschläge zu entwickeln, die in die Zukunft führen, wie etwa ein Bildungssystem, das wirklich auf Qualifikation aufgebaut ist. Auch Europa hat nach wie vor eine Chance, wenn Österreich in der Lage ist, seine eigene Position überzeugend darzustellen und Herausforderungen zu formulieren. Auch der demokratische Gesetzesstaat hat Chancen, wenn er sich nicht der permanenten Anpassung an jede beliebige Interessengruppe verschreibt und wieder eine Qualität erreicht, die in den Gesetzen auch Verständlichkeit zumutet.
All das könnte durch viele Gespräche realisiert werden. Meines Erachtens sollte man auf Inseratenkampagnen, Plakate und Slogans verzichten, denn damit erreicht man ohnehin niemanden. Auch die Partei-Veranstaltung in Wiederbelebung wird es nicht sein.
Es gibt aber unendlich viele Kreise, Zirkeln, Networks, Blogs, die durchaus Inhalt vertragen und ihn auch gerne nachfragen. Da müsste allerdings die Volkspartei die Sprache wiederentdecken, nämlich jene, die zur Verständigung bestimmt ist. Es wäre ganz gut, einige Zeit in den verbliebenen Parteisekretariaten und Clubs damit zu verbringen, die Politsprache auf ihre Verständlichkeit hin zu untersuchen. Gibt sie wirklich wieder, was gemeint ist, wird noch erklärt oder wird mehr verdeckt?
Und letztlich: Wer ist in der Lage, diese Sprache zu sprechen? Das permanent nachgefragte "neue Gesicht" an der Spitze der Partei tut es nicht. Es muss ein neues Gesicht einer politischen Gemeinschaft sein, die auch Faszination ausstrahlt und nicht von Personen angeführt wird, die pure Gemütlichkeit oder das Talent zum Autoverkäufer ausstrahlen. Vielleicht könnte man einmal bei den jüngeren nachfragen, mit welcher Politikerin, mit welchem Politiker sie überhaupt einen Abend verbringen wollen.. .
Zeit wäre jetzt dazu, aber ich gebe mich der unverbesserlichen Hoffnung hin, dass man in der Lichtenfelsgasse längst damit begonnen hat - und natürlich auch in den Landesparteizentralen oder wo immer noch Politik gemacht wird!
Zur PersonErhard Busek, geboren 1941 in Wien, war 1976-1989 Obmann der Wiener und 1991-1995 Bundesobmann der ÖVP. Zuletzt EU-Koordinator für Südosteuropa.