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"Schieflage in der Interessenspolitik"

Von Veronika Gasser

Politik

Emmerich Tálos ist Professor am Institut für Staats- und Politikwissenschaften der Universität Wien. Schwerpunkte seiner Forschungen und Publikationen sind die politische Entwicklung Österreichs im 20. Jahrhundert, Sozialpolitik und die Sozialpartnerschaft. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" stellte er die Probleme künftiger Sozialpartnerschaft dar.


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"Wiener Zeitung": Bei den Arbeiterkammerwahlen gab es eine relativ hohe Wahlbeteiligung, die Sozialdemokraten konnten zumeist Stimmen dazugewinnen. Glauben Sie, dass sich dieser Trend fortsetzt?

Tálos: Interessanterweise wurde vor den Wahlen von einer Seite immer nur von Privilegien gesprochen, es wurde aber nie erwähnt, welch unumgänglich notwendige Arbeit diese Kammern leisten. Wie sehr die Leistungen anerkannt werden, zeigt sich nicht zuletzt an den Wahlen. Jene, die angetreten sind, die AK substantiell in Frage zu stellen, müssen sich mit negativen Wahlergebnissen auseinandersetzen. Ihre Strategie wurde nicht akzeptiert.

"Wiener Zeitung": Immer wieder werden die Privilegien der neun Arbeiterkammer-Präsidenten angeprangert. Sind diese Angriffe aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Tàlos: Institutionen tendieren offenkundig dazu, ein Eigenleben zu entwickeln, auch im Hinblick auf Privilegien. Die Kammern haben - auch auf Druck von außen und seitens der Regierung - reagiert und bereits Veränderungen im System vorgenommen. Diese Privilegiendebatten sind ein Vorwand für eine Strategie, in der es um die substantielle Schwächung der AK geht. Das zeigen die jüngsten Vorschläge von Noch-Parteiobmann Haider, der die Kürzung der AK-Umlage von 0,5 auf 0,3 Prozent forderte. Der AK als einer spezifischen Interessensorganisation der Sozialpartnerschaft sollen die materiellen Ressourcen entzogen werden.

Dabei geht es Haider nicht nur um Ablenkung von der Regierungspolitik, sondern um die grundsätzliche Infragestellung der Arbeitnehmerorganisationen. Das überrascht bei den Freiheitlichen nicht. Die FPÖ als traditionelle Oppositionspartei war bislang in die großen Interessensorganisationen dieses Landes nur marginal integriert. Deren Schwächung erfolgt mit dem Kalkül, dass damit Verbände getroffen werden, die bisher einen maßgeblichen Einfluß auf die Politik in Österreich hatten. Wir können uns große Bereiche der Sozial-, der Wirtschafts-, der Arbeitsmarkt-, der Agrarpolitik usw. ohne Mitwirkung der Interessensverbände nicht vorstellen.

"Wiener Zeitung": Welche Folgen hätte die Kürzung der AK-Umlage?

Tálos: Wenn es zu einer Senkung der finanziellen Mittel um 40 Prozent käme, würde die Arbeit dieser Interessensvertretung zweifellos schwieriger werden und auf längere Sicht das Ende der AK eingeläutet werden. Eine Organisation, die Serviceleistungen nicht mehr erbringen und die nur mehr wenig an Expertenwissen zur Verfügung stellen kann, wird an Bedeutung verlieren.

"Wiener Zeitung": Ist mit dieser von Ihnen erwähnten Schwächung der AK die Sozialpartnerschaft in Frage gestellt - diese soll laut Regierungsprogramm neu definiert werden?

Tálos: Sie trifft indirekt die Sozialpartnerschaft, insofern als damit interessenspolitisch eine Strategie der einseitigen Belastung von Arbeitnehmerorganisationen gefahren wird. Gleichzeitig werden die Interessensvertretungen der Unternehmer gestärkt. Die inhaltliche Schieflage setzt sich somit in einer Schieflage der Interessenspolitik fort. Natürlich wurde auch angekündigt, bei der Wirtschaftskammer zu sparen - aus Legitimationsgründen geht es nicht anders. Aber der Vorstoß war ausschließlich gegen die Kammer für Arbeiter und Angestellte gerichtet.

"Wiener Zeitung": Sehen Sie dadurch den sozialen Frieden in Österreich gefährdet?

Tálos: Neben der geplanten Kürzung der Umlage ist festzustellen, dass diese Regierung wesentliche Materien an der Mitwirkung der AK vorbeigeführt hat. Die Regierung macht das Programm, bindet dabei - entgegen der bisherigen Praxis - AK und ÖGB nicht ein, sondern läßt ihre Vorhaben durch Abgeordnete im Nationalrat mittels Initiativantrag einbringen. Ein anderes Zeichen ist die Verlegung von wichtigen Kompetenzen aus dem Sozial- ins Wirtschaftsministerium. Das bedeutet, dass damit den Sozialpartnern, AK und ÖGB, Möglichkeiten der Mitbestimmung genommen werden. Das Wirtschaftsministerium ist traditionell das Zugangstor für die Interessensvertretungen der Unternehmer. Wenn alle Bereiche der Arbeitnehmer an das Wirtschaftsministerium gehen, gibt es Schwierigkeiten, diese Aufgaben im Interesse der Betroffenen wahrzunehmen. Die Unternehmer können die Regierungspolitik inhaltlich mitformulieren. Währenddessen müssen ÖGB und AK zusehen wie eine Politik zu Lasten der Arbeitnehmer gemacht, und eine Strategie verfolgt wird, die auf das Zurückdrängen ihres Einflusses ausgerichtet ist. Diese Konstellation gefährdet die Sozialpartnerschaft und den sozialen Frieden.

"Wiener Zeitung": Welchen Aufgaben werden sich die Arbeiterkammern in Zukunft stellen müssen?

Tálos: Wesentliche Aufgabenbereiche werden die Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern und zwischen Arbeitnehmern in sogenannten normalen Arbeitsverhältnissen und jenen in atypischer Beschäftigung sein. Die Arbeitnehmerorganisationen müssen sich auch verstärkt dem Spannungsverhältnis zwischen Beschäftigten und unfreiwillig Nicht-Beschäftigten widmen.