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Schiitischer Geistlicher baut auf organisierte Anhängerschaft

Von Anne-Beatrice Clasman, AP

Politik

Sie sind jung, motiviert, gut organisiert und absolut loyal. Sogar ihr Leben würden die meisten Anhänger von Muktada al Sadr für den schiitischen Prediger geben. Zwar hat Sadr bisher nicht zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzungstruppen im Irak aufgerufen, der Ton wurde jedoch schärfer - und die Spannungen entluden sich am Wochenende bereits in blutiger Gewalt. Gefechte zwischen Schiiten und ausländischen Soldaten kosteten bis zu hundert Menschen das Leben.


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"Al Sayed", der Meister, wird der etwa dreißig Jahre alte Muktada al Sadr, gegen den gestern ein US-Haftbefehl erlassen wurde, von seinen Anhängern genannt, weil er nach eigenen Angaben von dem Propheten Mohammed abstammt. Trotz seiner Jugend wird er hoch verehrt, nicht zuletzt wegen seines Vaters Mohammed Sadik al Sadr. Der einst führende Ayatollah war 1999 von mutmaßlichen Gefolgsmännern Saddam Husseins erschossen worden. Nach dem Sturz des Präsidenten und dem Ende der Unterdrückung der Schiiten nutzte Muktada al Sadr das Machtvakuum und trat in die Fußstapfen des Vaters. Unterstützt wird er von hunderten junger, energischer Schiiten voller Organisationstalent. Sie haben bereits mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie innerhalb kürzester Zeit die Anhänger des Geistlichen mobilisieren können. Vor allem in den ersten Monaten nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins machte die Bewegung Muktada al Sadrs von sich reden. Mit einer Mischung aus Religion, Politik und sozialem Programm findet sie starken Anklang in den ärmeren Bevölkerungsschichten.

Die gebildete Mittelklasse hat er indes noch nicht rückhaltlos für sich gewinnen können. Dort herrscht angesichts der Jugend und der politischen Unerfahrenheit des Geistlichen noch Skepsis. In seinen Reden greift er gerne auf Zitate seines Vaters zurück, dessen Porträt weiterhin die Wände der Versammlungsstätten ziert. Die enge Bindung an den Kurs seines Vaters verschafft Muktada al Sadr aber den Rückhalt der Masse. Auch seine kompromisslose Ablehnung der US-Besatzung nimmt viele Iraker für ihn ein, die so manchem anderen schiitischen Geistlichen ein Einknicken vor den Amerikanern vorwerfen.

Auf die Zusammenarbeit mit den Schiiten sind die USA jedoch angewiesen. Mit einem Anteil von mindestens 60 Prozent stellen die Schiiten die größte Bevölkerungsgruppe im Irak. Nach Jahrzehnte langer Unterdrückung durch das frühere Baath-Regime machen sie nun ihre Machtansprüche geltend und setzen Washington zunehmend unter Druck.

Der Widerstand des Schiitenführers Großayatollah Ali al Sistani gegen die US-Pläne zur Machtübergabe im Irak hat die Regierung in Washington bereits zwei Mal ausgebremst. Und die Demonstrationen von Muktada al Sadrs Anhängern waren bisher die stärksten seit dem Sturz Saddam Husseins vor einem Jahr. Obwohl aus seinem Mund noch kein direkter Aufruf zur Gewalt gegen die Besatzungstruppen kam, demonstrierten zahlreiche Protestierende in den vergangenen Tagen ihre Entschlossenheit zum Äußersten. Mit vermummten Gesichtern riefen sie zum Widerstand gegen die Amerikaner auf, einige trugen die Aufschrift "Märtyrertod" auf ihren Mützen. "Ich wäre glücklich, für Al Sayed zu sterben", erklärte der verletzte 21-jährige Ali Hussein nach den blutigen Gefechten noch auf dem Weg ins Krankenhaus.