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Wer die Prachtmeile "Unter den Linden" entlang flaniert, kommt irgendwann zur "Neuen Wache". Betritt man sie, ist man sofort umfangen von der stillen Klarheit des weiten Innenraumes, die förmlich zum Innehalten zwingt. Das diffuse Licht fällt auf eine mannshohe Bronzeskulptur: "Mutter mit totem Sohn", nach einem Original von Käthe Kollwitz, die ihren 18-jährigen Sohn im Ersten Weltkrieg verlor.
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Auf Vorschlag Helmut Kohls dienen Gebäude und Pietà seit 1993 als zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Anfangs heftig umstritten, kann sich heute kaum jemand der Ausstrahlung dieses Ortes entziehen.
Der Bau ist Fremdkörper, Paradoxon, Anstoß und Magnet zugleich. Umgeben vom üppigen Barock des Zeughauses (heute Deutsches Historisches Museum) und der pompösen Neo-Renaissance der Hohenzollern, fällt der nüchterne, streng klassizistische Kubus aus dem Rahmen. Obwohl im Vergleich mit den umstehenden Kolossen ziemlich klein, behauptet er eine selbstbewusste Monumentalität. Die Wirkung wird durch klare und strenge Formen des kastellartigen Baukörpers erzielt, dem ein offener Portikus in dorischem Stil vorgelagert ist.
Der Planer hat die Vorbilder der klassischen Antike aufgenommen und dennoch frei kombiniert. Wer war dieser Abweichler, diese Sondererscheinung in der preußischen Architekturlandschaft, der das edle Maß der alten Griechen mit seiner kühnen Eigenwilligkeit verband?
Er war, wie so viele große Berliner, ein Zugereister. Vom brandenburgischen Neuruppin zog die Familie nach dem Tod des Vaters nach Berlin. Mit 16 Jahren sah der Gymnasiast eine Ausstellung von Architekturzeichnungen und erkannte seine Lebensbestimmung: Er wurde Architekt. Als sein erster Auftrag verwirklicht wurde, der Pavillon "Temple de Pomone" in Potsdam, war er noch nicht 19 Jahre alt: Carl Friedrich Schinkel - zu Lebzeiten umstritten und angefeindet, in seiner wahren genialen Größe erst lange nach seinem Tod erkannt und anerkannt.
Sein gegen den Zeitgeist der lauten Töne und der aufdringlichen Repräsentation stehender Stil des klassischen Maßes und der edlen Harmonie wurde von den Zeitgenossen abgelehnt. Viele Projekte des großen Visionärs fielen Intrigen bei Hofe zum Opfer.
Als er mit 60 Jahren starb, hinterließ er gleichwohl ein gigantisches uvre. Allein in Berlins Mitte prägt eine Vielzahl wunderbarer Schinkel-Werke das Stadtbild, wie das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, die bereits erwähnte Neue Wache, das Alte Museum am Lustgarten oder die Friedrichswerdersche Kirche eine Mischung aus Klassizismus und Neogotik. Die zerstörte Bauakademie soll nun rekonstruiert werden.
Eine seiner reizvollsten Schöpfungen, das Schloss Glienicke, schuf er als antike italienische Villa mit weitem Blick auf den Wannsee - Schloss, Casino, Große und Kleine Neugierde: alles klar gegliedert und ausgewogen proportioniert, jene "heiter-festliche Würde" ausstrahlend, die schon Goethe und Winckelmann bewunderten.
Ebenso wichtig wie seine Bauten ist seine Wirkung als Lehrer und Vorbild. Er hat nicht nur den Eklektizismus um Jahrzehnte vorweggenommen, sondern von ihm und durch seine Schüler führt ein direkter Pfad in die Moderne. Als preußischer Oberbaudirektor war er für das ärarische Baugeschehen vom Rhein bis Königsberg zuständig und rieb sich in seiner Pflicht auf. Mit sechzig erlag er einem Schlaganfall. Zurück blieben viele Gemälde mit romantischen, idealen Stadtlandschaften.
Wer weiß, was die Menschheit gewonnen hätte, wenn er seine Träume hätte verwirklichen können.