Die Rolle der Sozialpartnerschaft ist im Wandel - nicht nur wegen der ÖVP-FPÖ-Regierung.
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Wien. Einen Freibrief für Streiks, eine Konferenz mit 900 Verhandlern der Gewerkschaft, eine Brandrede von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian vor diesen - das ist heuer der Auftakt zu den Kollektivvertragsverhandlungen, die am 20. September starten. "Wir werden dieses Diktat zugunsten der Arbeitgeber ohne einen einzigen Punkt, der zu einer Verbesserung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt, keinesfalls akzeptieren - jetzt wenden wir uns an die Besteller dieses Gesetzes", sagte er.
Und: "Wer so in den Wald hineinruft, der muss damit rechnen, dass der Ruf auch so zurückkommt." Die Gewerkschaften hätten die Stimmung "künstlich aufgepuscht", rief Arbeitgebervertreter Christian Knill, Obmann des Fachverbands Metalltechnische Industrie in der Wirtschaftskammer, bereits Tage davor hinein. "Wir sind nicht der Adressat für Kritik an der Regierung" und "die behaupteten Nachteile müssen erst bewiesen werden", sagte er zum Arbeitszeitgesetz.
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Die Auseinandersetzung bei den Kollektivvertragsverhandlungen werden heuer vermutlich kaum Bruno Kreiskys "sublimiertem Klassenkampf am grünen Tisch" als einer weit weniger erhabenen Auseinandersetzung zweier sich weniger vertrauenden Parteien gleichen. Von "Partnerschaft" ist vor allem dann die Rede, wenn man dem Gegenüber vorwirft, sie zu verlassen. Ist damit der soziale Friede in Österreich in Gefahr, oder endlich Schluss mit unflexibler Politik? Eine Einschätzung, wie die Sozialpartnerschaft auf den Wirtschaftsstandort wirkt.
Partnerschaftlicher Dialog
Tatsächlich ist ein Arbeitskampf in Form von Streiks in Österreich eine Seltenheit. Eine Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der deutschen Hans-Böckler-Stiftung vom März dieses Jahres zeigt, dass in Dänemark seit 2007 auf 1000 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt 118 Streiktage kommen, an denen nicht gearbeitet wurde. In Frankreich waren es 117, in Deutschland 16, in Österreich aber nur zwei. Das zeigt, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung bislang ihren Schlagabtausch bereits vor einer Eskalation von Konflikten mit Kompromissen lösen konnten.
Die Kompromissfindenden sind hierzulande außerdem stärker gesetzlich verankert als in anderen EU-Ländern. In der Verfassung heißt es: "Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpartner. Sie achtet deren Autonomie und fördert den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern." Auch die Pflichtmitgliedschaft in der Interessensvertretung ist gesetzlich verankert.
Die Debatte rund um das Arbeitszeitgesetz aber illustriert, dass der sozialpartnerschaftliche Dialog aktuell nicht optimal funktioniert. Da warfen Wirtschaftsvertreter dem Gegenüber schon im Sommer 2017 vor, einseitig aus den Gesprächen ausgestiegen zu sein - und Arbeitnehmervertreter wieder diesen, den Dialog nur mit der Regierung geführt zu haben.
Der Glaube, aktuell an Gesetzen mitwirken zu können, ist bei der Gewerkschaft gestört, Katzian nannte die Einladung, am Jobgipfel mitzuwirken, eine "Behübschung" desselben. Für ein Kasperltheater sei man nicht zu haben. Aber auch die Ansage eines Wirtschaftskammer-Vertreters im Vorfeld, klingt wenig nach der Suche nach einer gemeinsamen Lösung. In Österreich werde oft "Nicht-Arbeiten gefördert statt Arbeiten", es brauche Arbeitsanreize - das wiederum ist für Arbeitnehmervertreter wohl nicht das dringlichste Problem.
Die Lohnpolitik bleibt allerdings fest in sozialpartnerschaftlichen Händen: Hier trifft die Wirtschaftskammer auf die Gewerkschaften. Es geht um rund 450 Kollektivverträge, damit arbeiten 98 Prozent der Beschäftigten auf Basis solcher.
Ausgleichende Verhandlungen
Eine Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Wiiw) zeigt, dass das nur in Frankreich ebenfalls so ist - in Italien sind es 80 Prozent, in Deutschland 58 Prozent, in Großbritannien 30 Prozent, in Polen überhaupt nur 15 Prozent. Auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist mit 27 Prozent in Österreich zwar niedriger als in Italien mit 37, aber höher als in Deutschland mit 18 Prozent.
Diese hohe sozialpartnerschaftliche Integration sorgt laut Soziologin Susanne Pernicka für "gesellschaftliche Solidarität und einen Ausgleich von Gruppeninteressen". Zwischen Migranten und Österreichern zum Beispiel, für beide gelten alle Regeln der Kollektivverträge. Dafür sorge auch die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern, da hierzulande Tarifverhandlungen für alle gelten, während es in Deutschland zunehmen auch Interessensverbände ohne Tarifbindung gebe: "In Österreich gibt es einen weniger großen Niedriglohnsektor als in anderen Ländern", sagt Pernicka.
Tariflohnerhöhungen gleichen laut Wiiw-Ökonom Mario Holzner Einkommensunterschiede besser aus als höhere Mindestlöhne: "Ein Prozent mehr beim Mindestlohn wirkt sich wie 0,15 Prozent durchschnittliche Lohnerhöhung aus." Branchenverhandlungen gleichen laut Pernicka aber auch die Machtunterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen innerhalb einer Branche aus - kleinere müssten sonst tiefer in die Tasche greifen, um an gefragte Fachkräfte zu gelangen.
Eine Wifo-Auswertung zu den Lohnabschlüssen zeigt jedenfalls: Die Tariferhöhungen der Metaller liegen seit 2004 mit durchschnittlich 2,78 Prozent pro Jahr nur knapp über dem Handel mit 2,39 Prozent Plus. Selbst die Gesundheits- und Sozialberufe, wo es erst seit 2004 einen Kollektivvertrag gibt, liegen mit 2,29 Prozent nur knapp unter dem österreichischen Durchschnitt von 2,36 Prozent. Die Lohnentwicklung Österreichs ist laut Wifo-Forscher Thomas Leoni zwar "vergleichsweise schwach, aber stabil".