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Schläge mit der Faschismus-Keule

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky ist Ehrenpräsident der Association of European Journalists (AEJ), die er von 2014 bis 2021 leitete. Er war Redakteur beim Nachrichtenmagazin "profil".
© privat

Das Brandmarken politischer Gegner als Nazis und Faschisten setzen insbesondere Politiker als Waffe ein, die selbst in diesem Fahrwasser unterwegs sind.


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Derzeit kommt es wieder voll in Mode, die Faschismus-Keule als politische Waffe und Totschlag-Argument auszupacken. Freilich oft von Politikern, auf die ihre Vorwürfe schnell selbst zurückfallen. So hat der abgewählte tschechische Premier Andrej Babiš Anfang August bei einer Versammlung seiner ANO-Partei in Tábor seine politischen Gegner wüst attackiert: "Sie sind Faschisten und Nazis, diese Wähler der Parteien Spolu ("Zusammen", Anm.), PirStan (Piraten und Bürgermeisterpartei Stan, Anm.) und der Bürgerlisten. Diese Leute sind gefährlich. Und ich wundere mich, wo die Polizei bleibt."

Damit hat er die Wählerschaft von gleich drei der fünf Parteien der Regierungskoalition als Nazis gebrandmarkt - also immerhin mehr als 2,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Tschechischen Republik. Der milliardenschwere Unternehmer, der in zahlreiche Korruptionsfälle verwickelt ist, zuletzt mit einem dubiosen Schlosskauf an der Cote d’Azur, ist heute Abgeordneter der ANO-Partei.

In einem offenen Brief wehrten sich am 8. August zahlreiche tschechische Prominente gegen die Attacken des Populisten. Als Nachfahren von Holocaust-Opfern und ermordeten Widerstandskämpfern gegen die NS-Besatzung ihrer Heimat warfen sie Babiš Beleidigung und Spaltung der Gesellschaft vor und forderten ihn zum Rücktritt von allen politischen Ämtern und zum kompletten Rückzug aus der Politik auf. Als Zeichen der Reue solle er NS-Konzentrationslager besuchen.

Vor Babiš beschimpfte schon 2010 der damalige Premier Mirek Topolánek Christen, Juden und LGBT-Angehörige wüst, trat aber darauf knapp vor den Wahlen als Parteichef und Kandidat zum Parlament zurück. Ähnlich ging auch der damalige Premier Milos Zeman vor. Er bezeichnete 2003 in einem "profil"-Interview mit mir die Sudetendeutschen als "5. Kolonne Hitlers". Ihre Vertreibung nach 1945 sei milde gewesen, weil ihnen ja nach dem Strafrecht der Tschechoslowakei wegen Landesverrats die Todesstrafe gedroht hätte. Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder sagte daraufhin einen geplanten Besuch in Prag ab.

"Entnazifizierung" in Kiew, stumpfe Waffe im Westen

Gerne greift auch Kreml-Chef Wladimir Putin zur Faschismus-Keule. Seinen völkerrechtswidrigen militärischen Angriff auf die Ukraine begründete er mit der seiner Meinung nach notwendigen "Entnazifizierung" der Regierung in Kiew. Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Jude ist, störte Putins krude Verschwörungstheorien nicht. Der Faschismus-Vorwurf fällt vielmehr auf ihn zurück: Er stützt sich auf die Thesen von Iwan Iljin (1883 bis 1954), wonach die Demokratie nach westlichem Muster schädlich für Russland sei und durch eine "erzieherische und wiedergebärende Diktatur" ersetzt werden solle. Auch der ultrarechte Ideologe Alexander Dugin gehört zu den engsten Beratern Putins. Er vertritt eine deutlich rechtsextreme Ideologie.

In der westlichen Welt wurde indes die Faschismus-Keule als stumpfe Waffe eingepackt. Den Gegnern von Marine Le Pen hat 2014 ein Gerichtsurteil, wonach die französische rechtsextreme Politikerin als Faschistin bezeichnet werden darf, nichts genützt. Auch der Vergleich von Donald Trumps Auftreten und Wortwahl mit Benito Mussolini hat diesem keineswegs geschadet.

Jason Stanley, Philosophieprofessor an der Yale Universität, listete 2018 in seinem Buch "How Fascism works" faschistische Propagandamotive wie Heimatideologien, Antiurbandie Ideologisierung harter Arbeit und von "Law and Order", die paradoxe Beschwörung einer homogenen Gemeinschaft bei gleichzeitiger Zerschlagung der Gesundheits- und Sozialsysteme sowie die angebliche Bekämpfung der Korruption trotz maximaler und unverhohlener Gesetzlosigkeit, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung in den eigenen Reihen (wie bei Trump) auf: "Was noch vor kurzem zu einem Aufschrei der Empörung führte oder undenkbar wirkte, wird unter der pausenlosen Wiederholung propagandistischer Behauptungen über die Gefährlichkeit von ‚Fremden‘ und der schrittweisen Verschärfung faschistischer Politik schnell zur akzeptierten Realität. Genau das ist es, was den Faschismus so gefährlich und seine Vollendung in der Vernichtung dämonisierter Anderer erst möglich macht."

Diese Einstufung gilt auch für Ungarns Premier Viktor Orbán, der ein rechtsnationalistisches Modell der "illiberalen Demokratie" verfolgt und den Großteil der Medien auf Linie gebracht hat. Anfang August hielt er in Texas vor Republikanern eine Brandrede gegen Migration und und empfahl das berüchtigte "White Supremacy"-Buch "The Camp of the Saints". Anschließend benutzte er in seiner Rede vor Anhängern in Siebenbürgen eine deutlich rassistische Wortwahl und warnte vor einer "Vermischung" mit anderen Kulturen und Völkern. Doch Faschismus-Vorwürfe prallen an ihm ab. Genauso beim türkischen Präsidenten Recep Tayib Erdogan, der zunehmend rechtsautoritär regiert.

Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright stempelte Venezuelas damaligen links-marxistischen Präsidenten Hugo Chavez ebenfalls zum Faschisten. Als Motto in ihrem Buch zitierte sie die Position des Holocaust-Überlebenden Primo Levi (1919 bis 1987): "Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus."