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Schlaglöcher in Indiens Image als glänzender Wirtschaftsstandort

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Wirtschaft

Mangelhafte Infrastruktur. | Nur befristete Verträge für Arbeiter. | Neu Delhi. Gartenteich große Schlaglöcher durchziehen Gurgaons Straßen. Wenn es regnet, versinken die Autos im Wasser. "Ausländische Gäste sind entsetzt über den Zustand der Infrastruktur, besonders wenn sie hier stundenlang im Stau stecken", sagt Sam Chopra, ein Computerfachmann.


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Gurgaon ist kein staubiges, indisches Dorf irgendwo auf dem Subkontinent, sondern eine Technologie-Metropole vor den Toren der Hauptstadt Neu Delhi. Hier haben SAP, British Telecom, IBM, Accenture und andere große Konzerne ihre indische Heimat.

"Millennium City" nennt man Gurgaon, seit dessen glitzernden Hochhausfassaden und seine gut gekühlten Einkaufs-Zentren zum Symbol für das neue Indien geworden ist. Doch die Fassade hat Risse - und mit ihr das ganze indische Wirtschaftswunder. In den schicken, teuren Wohnanlagen von Gurgaon gibt es weder eine ordentliche Müllabfuhr noch ausreichende Kanalisation.

Anfang September waren bereits 348 Einwohner des Nobel-Vorortes am Dengue-Fieber erkrankt und zwei Menschen an den Folgen der gefährlichen Tropenkrankheit, die von Stechmücken übertragen wird, gestorben.

"Warnung" an Manager

In Noida, einer anderen Satellitenstadt Neu Delhis, sind nicht Dengue-verseuchte Stechmücken, sondern indische Arbeiter eine Gefahr für das Image Indiens. Anfang der Woche lynchten entlassene Angestellte bewaffnet mit Hämmern und Eisenstangen den Chef von Graziano Trasmissioni India. Der italienische Hersteller für Antriebstechnik, der zur Schweizer Oerlikon-Gruppe gehört, beliefert Indiens expandierende Autoindustrie.

Noch schockierender als der Mord an Graziano-Boss Lalit Chaudhry war für die indischen Unternehmer jedoch die Reaktion von Indiens Arbeitsminister Oscar Fernandes: "Der Vorfall sollte allen Managern als Warnung dienen", erklärt er. Nach einem Aufschrei der Medien behauptet Fernandes nun, er sei falsch verstanden worden.

Dennoch - Indiens Arbeitsgesetze sind die striktesten der Welt. Es ist einer Firma nach dem Industrial Disputes Act von 1947 fast unmöglich, Arbeiter zu kündigen. Als Resultat der Gesetzeslage stellen Unternehmen Arbeitskräfte fast nur auf Zeitverträgen ein.

Die Hire-and-fire-Politik sorgt immer wieder für Aufruhr am Arbeitsplatz. Oerlikon-Graziano will seine Fabrik in Noida zwar weiter betreiben, doch was aus den Plänen wird, das 600-Mann-Werk zu erweitern, weiß keiner.

Tata gibt offenbar auf

Im westbengalischen Singur stimmt ein Unternehmen bereits mit den Füßen ab. Seit Tagen verlassen Lastwagen vollbeladen mit Maschinen und Anlagen das belagerte Tata-Werk, 50 Kilometer westlich von Kalkutta. Hier sollte ab Oktober das billigste Auto der Welt, der Tata-Nano, vom Band laufen.

Nachdem es noch vor kurzem so ausgesehen hat, als ob der Nervenkrieg zwischen dem Firmenmanagement und einer örtlichen Parteipolitikerin beigelegt wäre, gibt Tata nun offenbar doch auf und räumt sein Werk. Kleinbauern belagern die Produktionsstätte, weil sie von der Regierung mehr Geld für das an Tata abgegebene Land haben wollen. Das Vorzeigeprojekt sollte Indien auf der Karte der Automobilhersteller fest verankern.

Das Hick-Hack um das Gelände schadet dem Ruf des ganzen Wirtschaftsstandortes. Der Tata-Konzern sucht nun eine neue Stätte für die Produktion des indischen Volkswagens.

Der Bundesstaat Karnataka im Süden Indiens hat bereits angeboten, Tata Land zur Verfügung zu stellen. Doch auch Karnataka ist in den Negativ-Schlagzeilen. Seit zwei Wochen stecken dort Hindu-Fanatiker Kirchen in Brand.