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Schlagstöcke statt Versammlungsrecht

Von WZ-Korrespondent Axel Eichholz

Politik

Russlands Miliz geht scharf gegen Demonstranten vor. | Moskau. Bis zu 150 von insgesamt 500 Teilnehmern einer oppositionellen Kundgebung in Moskau fanden sich vorübergehend hinter Gittern wieder, als sie am Sonntag auf dem Moskauer Triumph-Platz protestierten. Die "Nicht Einverstandenen", deren Grundstock die Vereinigte Bürgerfront des Ex-Schachweltmeisters Garri Kasparow sowie die in Anlehnung an die berühmte polnische Gewerkschaft genannte Bewegung Solidarnost bilden, demonstrieren an jedem 31. des Monats (also sechs Mal im Jahr) für die Einhaltung des Paragrafen 31 der Verfassung über die Versammlungsfreiheit.


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Bisher wurden alle Anträge auf die Abhaltung dieser Kundgebungen von den Moskauer Behörden unter Vorwänden abgewiesen. Zu der jüngsten hieß es, auf dem Triumph-Platz sei am Sonntag bereits eine Veranstaltung unter dem Motto "Winterfreuden" geplant.

Die Festgenommenen wurden am selben Tag wieder freigelassen. Die Veranstalter, unter ihnen Ex-Vizeregierungschef Boris Nemzow und der Vorstandsvorsitzende der Menschenrechtsgesellschaft Memorial, Oleg Orlow, werden am kommenden Donnerstag dem Richter vorgeführt. Nicht verhaftet wurde diesmal die Doyenne der einstigen Dissidentenbewegung und die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ludmila Alexejewa. Die Polizei sonderte die 82-Jährige, die Ende Jänner von der Miliz vor laufenden Kameras abgeführt worden war, lediglich von der Kundgebung ab. Wie einer der Polizisten verriet, wurde ihnen vor Beginn der Kundgebung ans Herz gelegt, "der Oma" dürfe diesmal kein Haar gekrümmt werden.

Offenbar fühlt sich die Stadt- und Landesführung nicht wohl in ihrer Haut. Den Oppositionellen kann sie außer der Teilnahme an verbotenen Kundgebungen nichts vorwerfen. Dabei brauchen diese laut Gesetz nicht genehmigt zu werden. Es genügt, wenn die Veranstalter das Bürgermeisteramt beizeiten darüber in Kenntnis setzen.

Ruf nach Putin-Rücktrittin Kaliningrad

In St. Petersburg wurde die Oppositionskundgebung schon vor deren Beginn aufgelöst. In der russischen Exklave Kaliningrad versammelte dagegen die oppositionelle Solidarnost nach Schätzung des demokratischen Jugendpolitikers Ilja Jaschin 12.000 Menschen. Für die russische Provinzstadt ist das eine Revolution. Alle Oppositionellen, darunter Kommunisten, Nationalpatrioten, Liberale und selbst Mitglieder der Unternehmer- und Autofahrerverbände forderten den Rücktritt von Regierungschef Wladimir Putin und Gouverneur Georgi Boos. Viele Parolen richteten sich gegen die Staatspartei Einiges Russland. Jaschin führt die beispiellose Aktivität der Kaliningrader auf die Lage der russischen Enklave mitten in der EU zurück. Sie ließen sich anders als ihre Mitbürger in Zentralrussland nicht mehr alles bieten. Aus Kaliningrad werde noch ein "russisches Danzig", prophezeit er. Der örtliche Solidarnost-Führer Konstantin Doroschok erinnere ihn an Lech Walesa und dessen Solidarnoscz.