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Schlaue Kerle begehrter

Von Frank Ufen

Wissen

Das menschliche Gehirn ist ein merkwürdiges Ding. Übermäßig groß und komplex, ziemlich störanfällig, frisst jede Menge Energie, und es ist eine Maschine mit nahezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten. Warum das so ist, wird üblicherweise damit erklärt, dass die frühen Hominiden in einer Umwelt lebten, die an ihr Denkvermögen erhöhte Anforderungen stellte: Weil sie sich darauf verlegt hatten, systematisch Werkzeuge und Waffen herzustellen, und weil sie darauf angewiesen waren, ihr Handeln gemeinsam zu planen und aufeinander abzustimmen, benötigten sie angeblich reichlich technische und soziale Intelligenz - und die Evolution lieferte ihnen prompt ein Gehirn mit der entsprechenden Rechenleistung.


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Nach anderen Theorien waren es vor allem die zunehmende Komplexität des gesellschaftlichen Lebens und die dafür erforderlichen Fähigkeiten zur Verständigung, Perspektivenübernahme, Interaktion und Kooperation, die die Evolution des Gehirns vorangetrieben haben. Wieder andere Theorien betrachten das Gehirn als das Ergebnis eines geistigen Wettrüstens, eines Hobbesschen Kampfes aller gegen alle, bei dem jeder versucht, seine Gegenspieler strategisch zu manipulieren, zu täuschen und zu betrügen.

Mit diesen Theorien sind die amerikanischen Psychologen Richard Coss und Clark Barrett und der Schweizer Anthropologe und Primatenforscher Klaus Zuberbühler allerdings nicht einverstanden. Sie vermuten, dass die Frühmenschen ein großes Gehirn benötigten, um Löwen, Leoparden, Säbelzahntiger und andere Raubtiere abwehren und überlisten zu können. Für diese Theorie sprechen die Ergebnisse einiger psychologischer Experimente, die man jüngst mit kleineren Kindern unternommen hat. In einem davon wurden Drei- bis Achtjährigen Szenen vorgespielt, in denen Tiere mit ihren Raubfeinden zusammentrafen. Was sich dabei zeigte: Schon die Kleinsten haben eine klare Vorstellung davon, was es bedeutet, in Todesgefahr zu sein und getötet zu werden. "Wir stellen uns unsere prähistorischen Ahnen gerne als tapfere Jäger vor", sagt die Primatologin Louise Barrett. "Doch vermutlich haben sie sich die meiste Zeit in Höhlen versteckt."

Der britische Evolutionsbiologe Robert D. Martin wiederum hält keine dieser Theorien für überzeugend. In seinen Augen hat es wenig Sinn zu fragen, wofür eine Spezies ein größeres Gehirn braucht - denn schließlich könnte es keinem Tier schaden, klüger zu werden. Entscheidend sei vielmehr etwas anderes: Gehirne aufzubauen und zu unterhalten, kostet jede Menge Energie. Und ihr Wachstum ist bei den Säugetieren zum Zeitpunkt der Entwöhnung schon nahezu abgeschlossen. Also muss die Gehirngröße der Säugetiere in erster Linie davon abhängen, wie viel energiereiche Nahrung einer Mutter in den Phasen der Schwangerschaft und des Stillens zur Verfügung steht. "Somit", schlussfolgert Martin, "ist es in erster Linie der Energieumsatz der Mutter, der die Endgröße des Gehirns ihrer Nachkommen begrenzt."

Delfin und Kapuzineraffe

Oft wird behauptet, dass nicht nur Menschen, sondern die Primaten schlechthin mit einem - gemessen am prozentualen Verhältnis zur Körpermasse - größeren Gehirn als alle anderen Säugetiere ausgestattet seien. Das trifft jedoch nicht zu. Bei den winzigsten unter den bisher untersuchten Säugern liegt der Prozentwert weit über dem der Primaten, und selbst den Menschen übertreffen sie darin um das Zehnfache. Die Säuger mit den nach dem Menschen meisten grauen Zellen sind die Delfine und ihre nächsten Verwandten. Und von den nicht-menschlichen Primaten hat nicht etwa einer der Menschenaffen und auch nicht irgendeiner der Altweltaffen das relativ größte Gehirn, sondern der Kapuzineraffe.

Die Kapuzineraffen können nicht nur sehr geschickt mit Werkzeugen umgehen. Sie sind auch dafür bekannt, ausgesprochene Feinschmecker zu sein und jede Kost zu verschmähen, deren Nährwert nicht besonders hoch ist. Außerdem sind sie die neben dem Menschen einzigen Primaten mit einem Magen-Darm-Trakt, der die rasche Verdauung energiereicher Nahrung ermöglicht.

Die frühsten Hominiden, behauptet Martin, haben es irgendwie geschafft, sich neue Nahrungsquellen zu erschließen. Diese Verbesserung der Energieversorgung ließ das Gehirn wachsen. Mit diesem etwas größeren Gehirn waren die Hominiden im Stande, noch effektivere Ernährungsstrategien zu erfinden - wodurch es wiederum möglich wurde, die Ressourcen für ein noch leistungsfähigeres Gehirn aufzubringen. Und so hat das Gehirnvolumen im Verlauf der Evolution zum Menschen kontinuierlich zugenommen - von den 440 Kubikzentimetern beim Australopithecus africanus über die 640 beim Homo habilis und die 940 beim Homo erectus bis hinauf zu den 1.230 beim Homo sapiens.

Der Schwanz des Pfaus

Und dann gibt es noch die eigenwillige Theorie des US Evolutionspsychologen Geoffrey Miller. Das menschliche Gehirn, behauptet Miller, ist nicht nur nützlich, wenn es darum geht, sich in einer feindlichen Umwelt durchzuschlagen. Es hat außerdem dieselbe biologische Funktion wie das prächtige Schwanzgefieder des Pfaus: Es soll das andere Geschlecht anlocken und beeindrucken. Pfauenhähne haben's schwer. Ihr riesiges Schwanzgefieder kostet sie viel Energie und Zeit, belastet auf Schritt und Tritt und behindert sie bei der Flucht vor Raubtieren. Aber gerade weil der Pfauenschwanz ein Handicap im Kampf ums Überleben ist, ist er die entscheidende Waffe im sexuellen Wettbewerb um die Gunst der Weibchen. Da er einen erheblichen Aufwand erfordert, zeigt er zuverlässig die körperliche und genetische Fitness der Männchen an.

Nicht viel anders geht es in Millers Augen in der Menschenwelt zu. Doch hier nehmen beide Geschlechter am sexuellen Wettbewerb teil, und beide Geschlechter versuchen sich attraktiv in Szene zu setzen, indem sie mit ihren geistigen Talenten wuchern und sich von ihrer liebenswürdigsten Seite zeigen. Was bei diesen Anstrengungen herausspringt, sind zum einen Kunst, Wissenschaft, Religion und Philosophie, aber auch Fußball, gute Kochrezepte und gutes Handwerk und Design. Zum anderen die ganze Palette schöner Charaktereigenschaften wie Altruismus, Gemeinsinn, Witz, Charme, Humor, Einfühlsamkeit und Großzügigkeit.

Millers Theorie ist immer noch heftig umstritten, aber sie findet immer mehr Anhänger. Zu ihnen gehört der Ulmer Genetiker Prof. Horst Hameister. Hameister glaubt allerdings, dass auch in der Menschenwelt das Prinzip Damenwahl herrscht. Von Anfang an hätten die Frauen eine Vorliebe für schlaue Kerlchen gehabt und von Anfang an hätten sie die Evolution der menschlichen Intelligenz energisch vorangetrieben.

Weibliche Überlegenheit

Denn, erklärt Hameister, was die Intelligenz betrifft, ist das weibliche Geschlecht doppelt im Vorteil. Das bestimmende X-Chromosom ist nämlich mit Intelligenzgenen geradezu gespickt, wohingegen es auf dem männlichen Y-Chromosom überhaupt keine gibt. Diese Intelligenzgene erben die Männer von ihrer Mutter. Außerdem ist das weibliche Geschlecht weitaus besser gegen schädliche Mutationen auf dem X-Chromosom geschützt, weil es zweifach vorhanden ist. Dieser Umstand schlägt sich unmittelbar in der statistischen Intelligenzverteilung nieder: Während die Frauen ziemlich gleichmäßig begabt sind, häufen sich bei den Männern die genetisch bedingten geistigen Behinderungen. Es gibt deshalb unter den Männern mehr Trottel. Allerdings bringen sie auch mehr Genies hervor, denn hin und wieder erben sie ein X-Chromosom mit einer besonders günstigen Kombination der Intelligenzgene.

Wachsende Intelligenz

Schon seit langem ist bekannt, dass die Gene auf dem X-Chromosom für die Eigenschaften verantwortlich sind, die jede Tierart unverwechselbar charakterisieren. Da sein X-Chromosom reichlich mit Intelligenzgenen bestückt ist, gilt der Mensch somit zu Recht als das Wesen, dessen Markenzeichen seine geistigen Fähigkeiten sind. Doch während im Tierreich eine strenge Trennung zwischen der sexuellen und der natürlichen Selektion besteht, wirken sie beim Menschen zusammen und stimulieren einander wechselseitig. Weshalb er laut Hameister gute Aussichten hat, dass seine Intelligenz auch in Zukunft noch weiter wachsen wird: "Eine Beschleunigung dieser Entwicklung ist in Zukunft insbesondere dort vorauszusehen, wo sich bisher fremde Kulturen vermischen."