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Kopftuch und Feminismus, auf den ersten Blick eine unmögliche Liaison. Auf den zweiten nicht ganz.
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Wien. Der Feminismus und das Kopftuch. Das ist eine sehr komplizierte Beziehung. Jahrhundertelang haben Frauen auf der ganzen Welt dafür gekämpft, wählen zu dürfen, zu arbeiten, sich scheiden zu lassen, allein über ihren Körper zu bestimmen. Und frei zu wählen, wie sie sich kleiden. Das gilt auch für das Kopftuch. Trotzdem löst dieses Stück Stoff auf dem Kopf gläubiger Musliminnen bei vielen Feministinnen Unbehagen aus.
"Das Kopftuch ist heute weltweit ein Symbol für die Geschlechter-Apartheid", schrieb die prominente Frauenrechtlerin Alice Schwarzer anlässlich eines Verfassungsgericht-Urteils aus Deutschland, das Kopftuch nicht aus den Schulen zu verbannen. Und weiter: "Schon alleine wegen des Leids dieser Millionen unter den Schleier gezwungenen Frauen müsste eigentlich jede Frau in einem freien Land, die ‚freiwillig‘ den Schleier trägt, dieses blutbesudelte Stück Stoff ablegen. Aus Solidarität."
Emanzipation und Schleier - für Feministinnen wie Alice Schwarzer gehen diese beiden Sachen nicht einher. Wer sich verschleiert, ist entweder unterdrückt oder eine Fundamentalistin. Wieso sonst sollte man sich freiwillig dem patriarchal geprägten und frauenfeindlich ausgelegten Islam zuwenden? Für Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde grenzt das an Hochverrat am Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter.
Aufschrei der Muslimas
Die Rechnung Kopftuch ist gleich unterdrückte oder geblendete Muslimin, geht aber nicht immer auf. Denn es gibt auch eine andere Seite: junge Musliminnen, die für sich sprechen und Kopftuch und Feminismus für sich neu zu interpretieren versuchen. "Dir muss mein Kopftuch nicht gefallen. Aber ich muss die Freiheit haben, es zu tragen", sagt die Sprecherin der "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IGGiÖ) und Autorin des Buchs "Muslimin sein", Amina Baghajati.
Viele Musliminnen kämpfen an zwei Fronten: nach innen gegen die Tradition, den Machismus und dem Patriarchat der eigenen Community. Und nach außen gegen das Bild der unterdrückten, willenlosen Frau. Deshalb stößt die neu entfachte Debatte um ein mögliches Kopftuchverbot oder "Neutralitätsgebot", wie es im neuen Regierungsprogramm heißt, für Polizistinnen, Staatsanwältinnen und Richterinnen vielen gläubigen Frauen sauer auf. In Wien gingen im Februar sogar zahlreiche Kopftuchträgerinnen deswegen auf die Straße. Deren Vorwurf: Hier werde Politik über die Köpfe der Frauen hinweg betrieben. Und das Gebot richte sich in der Praxis nicht an alle Religionen - das Kreuz im Gerichtssaal bleibt - sondern an Kopftuchträgerinnen.
"Ich gehe davon aus, dass ein neutraler Staat sich grundsätzlich nicht einmischt, wenn es darum geht, wer was anhat", sagt die Verfassungsrechtlerin, Feministin und Krimiautorin Eva Rossmann. Alles andere seien vorgeschobene Motive. Keine Frau werde durch Kleidungsvorschriften befreit, weder durch religiöse, noch durch staatliche. Und: Solche Sanktionen treffen nicht die Männer. Nämlich jene, die tatsächlich ihre Frauen und Töchter zwingen, sich zu verschleiern, merkt die Bloggerin und freie Journalistin Menerva Hammad an (siehe Kommentar).
Weniger laut war der Aufschrei der muslimischen Frauen, was die just vor dem Frauentag veröffentlichte Fatwa zur Verschleierung angeht. Die IGGiÖ hatte vergangene Woche erwachsenen Muslimas zum Tragen eines Kopftuches geraten, also ein Kopftuchgebot gesprochen. Begründet wurde das mit einem theologischen Gutachten des Beratungsrats. Ausgeblieben ist der Aufschrei aber nicht.
Und er kommt ungewohnt scharf aus den eigenen Reihen. "Musliminnen sind vor allem selbst gefragt, die Deutungshoheit darüber, was sie anziehen oder nicht anziehen, bei sich selbst zu halten. Und die simple Gleichung ‚muslimische Frau = Kopftuch‘ nicht mitzuspielen - egal ob sie von innen oder außen kommt", schreibt die Sprecherin der IGGiÖ, Baghajati, in einem offenen Brief. Das Kopftuch sei keine Säule des Islam, erklärt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Man sei auch keine "schlechte" Muslima, wenn man sich gegen ein Kopftuch entscheide. "Eine Auslegungstradition, die unter der Vorgabe Frauen zu schützen, sie letztendlich bevormundet, ist kritisch zu hinterfragen", sagt sie. Aber warum dann überhaupt ein Kopftuch, wenn es doch nicht so eine große Bedeutung hat? "Es gehört für mich zur Religionsausübung dazu", so Baghajati. Unter ihrem Kopftuch fühle sie sich selbstsicher, sie selbst, ergänzt Hammad. "Das muss nicht jedem gefallen." Nur die Wahlfreiheit müsse eben bestehen bleiben.
Religion selbst deuten
Eine dieser Frauen, die ihre Religionsausübung als Befreiungsakt sieht, wie sie selbst erzählt, ist die Imamin Esma Sacirovic. "Es ist nicht von Gott gewollt, dass die Männer über den Frauen stehen", sagt sie und zupft ihr Kopftuch zurecht. Das predigt sie auch den Frauen, die zu ihr kommen. Du kannst dich mit dem Kopftuch nicht identifizieren? Dann trage es nicht. Du willst arbeiten gehen, obwohl dein Mann dagegen ist? Geh arbeiten. Für Sacirovic war ihr Glaube die treibende Kraft, sich aus einer gewaltvollen Ehe zu lösen. Heute sorgt sie allein für sich und für ihre Tochter. Sie hat damals beschlossen, selbst die Deutungshoheit über ihre Religion zu übernehmen und Imamin zu werden. Das geschieht nicht immer ohne Druck und Häme vom männlichen Teil der muslimischen Community. Es ist nicht fair, Frauen wie Sacirovic als schwach oder abhängig zu bezeichnen. Auch wenn ein säkularer, individualistischer Feminismus kein Konzept ist, nach dem sie ihr Leben gestalten.
Leugnen lassen sich die Probleme, die es in der muslimischen Community durchaus gibt, nicht. Junge Burschen, die ihre Mitschülerinnen "haram", also "unrein", schimpfen, nur weil der Rock kurz ist. Väter, die sich weigern, der Klassenlehrerin die Hand zu geben und die Tochter nicht auf Klassenfahrt mitfahren lassen. "Die Frauen tragen oft zu viel Verantwortung, was die Familienehre angeht", meint Hammad. Das sei ein Problem und man müsse hier umdenken. "Aber glaubt nicht, dass das nicht passiert." Auch gläubige Musliminnen würden heute beginnen, die Art, wie sie ihre Söhne erziehen, zu hinterfragen.
Für die Männer selbst bedeutet das oft eine Identitätskrise und die Zerrissenheit zwischen der familiären Tradition und dem liberalen Frauenbild der Mehrheitsgesellschaft. Und nicht wenige reagieren mit Ablehnung auf den Machtverlust, der mit der Gleichberechtigung der Schwester oder der Partnerin einhergeht. Das ist ein Machtkampf, der vielen Muslimas bevorsteht, den viele aber bereit sind zu kämpfen.
Und noch eine Unterscheidung ist ihnen wichtig: Der Niqab ist nicht mit dem Kopftuch gleichzusetzen und auch kein Zeichen von Emanzipation. Und ein Schleier hat bis zur Geschlechtsreife keinen Platz auf dem Kopf eines jungen Mädchens.