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Schleppende Energiewende

Von Michael Ortner

Wirtschaft

In die Windkraft setzen viele die größte Hoffnung für die Energiewende 2030. Doch die Zeit ist knapp, ein neues Ökostromgesetz längst überfällig. Gelingt mit dem Gesetz tatsächlich die Wende?


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Wie Riesen stecken sie in der Landschaft. Gemächlich drehen sich ihre Rotorblätter. Politiker preisen sie als Klimaretter an. Denn sie verpesten die Luft nicht mit klimaschädlichen Gasen und liefern Strom für tausende Haushalte. Wind steht außerdem unbegrenzt zur Verfügung. Ein lachendes Windrad - gäbe es ein besseres Maskottchen für die "Fridays for Future"-Bewegung?

Kohle ist schmutzig, Atomenergie gefährlich, Windenergie sauber, so das Credo. Das letzte Kohlekraftwerk in Österreich schließt 2020, der Atomkraft erteilte die Bevölkerung bereits 1978 eine Absage. Windkraft hingegen spielt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Klimakrise. Experten sehen in Wind und Photovoltaik die größten Potenziale. Bis 2030 sollen nachhaltige Energieträger wie Wasser, Wind, Sonne, Erdwärme und Biomasse den gesamten Stromverbrauch decken. 72 Prozent der elektrischen Energie liefern sie bereits heute.

Die Energiewende birgt eine gewaltige Herausforderung für die türkis-grüne Regierung. Dutzende Wasserkraftwerke müssen gebaut, hunderte Windräder aufgestellt und hunderttausende Photovoltaikanlagen errichtet werden - in nur zehn Jahren. Die Regierung muss einerseits den Ausbau finanzieren. Andererseits muss die Bevölkerung ihren Sanctus geben, wenn ein neues Windrad oder PV-Anlagen gebaut werden. Und schließlich soll alles auch noch ökologisch und naturverträglich über die Bühne gehen. Ein unmögliches Unterfangen?

1349 Windräder stehen Ende 2019 in ganz Österreich. Sie decken elf Prozent des gesamten Stromverbrauchs, rund 7 Terrawattstunden (TWh). Laut Regierungsprogramm sollen zusätzlich 10 TWh hinzugebaut werden. Der Anteil der Windkraft muss sich also mehr als verdoppeln. Um eine Vorstellung von den Dimensionen zu bekommen: Eine TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden. Diese Energie würde genügen, um 10 Millionen Zwei-Personen-Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. In Windräder übersetzt, müssten theoretisch 120 pro Jahr errichtet werden.

Windkraft kämpft mit Flaute

Alle drei Tage ein Windrad also. Theoretisch. In der Praxis ist man meilenweit davon entfernt. Denn der Ausbau der Windkraft ist zum Erliegen gekommen. 2014 erreichte die Branche ihren vorläufigen Höhepunkt mit 141 neu installierten Anlagen mit einer Leistung von 407 Megawatt. Doch seither geht es steil nach unten. Vergangenes Jahr wurden 33 Anlagen (abzüglich Abbau) mit 120 Megawatt in Betrieb genommen. Für 2020 rechnet die Windbranche mit lediglich neun neuen Windrädern. Eine vom Verband in Auftrag gegebene Studie prognostiziert für 2030 insgesamt 2319 Windkraftanlagen. Nicht alle müssten komplett neu gebaut werden. Etwa ein Viertel kann durch "Repowering", also durch eine Erneuerung der Komponenten, aufgerüstet werden.

Die Ursache für den schleppenden Ausbau liegt in den Fördermechanismen. Ein Windrad wird nicht von heute auf morgen in die Landschaft gepflanzt. Die Betreiber müssen Anträge stellen, Genehmigungen von Gemeinden einholen, auf die Zustimmung der Bürger hoffen. Erst dann können sie Förderungen beantragen. Hierin liegt der Knackpunkt. Denn die Fördertöpfe sind schnell leer. Die Windkraftbetreiber haben aber mehr Projekte eingereicht als finanziert werden können. Sie hängen in der Warteschleife. Dass mehrere Jahre vergehen, bis eine Windkraftanlage errichtet werden kann, ist keine Seltenheit. Die Branche klagt über "dramatisch lange Wartezeiten". Sie wirft der Politik vor, den Ausbau aktiv zu verzögern.

Das derzeitige Fördersystem hat Mängel. "Es ist nicht mehr adäquat, um das Ziel 100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030 zu erreichen" sagt die Energieexpertin Dorothea Herzele von der Arbeiterkammer.

Der Hintergrund: Als mit der Erzeugung von Ökostrom, wie zum Beispiel durch Windkraft, in Österreich begonnen wurde, war dieses System sinnvoll, um möglichst rasch viele Anlagen in den Markt zu bekommen. So bekommen Windkraftbetreiber etwa garantiert für 13 Jahre fixe Einspeisetarife für jede Kilowattstunde Strom. Die Politik kann den bisherigen Ausbau zwar als Erfolg verbuchen. Allerdings steht das Stromnetz vor enormen Herausforderungen.

Denn die Erneuerbaren erzeugen unregelmäßig Strom. Wind weht nicht immer, der Himmel ist bedeckt. Bei sogenannten "Dunkelflauten" erzeugen weder Wind- noch Solarkraftwerke Strom. Die Natur richtet sich eben nicht nach dem Menschen. Wenn Erzeugung und Verbrauch von Strom nicht in Balance sind, bedeutet das Stress für das Stromnetz. Zur Stabilisierung muss eingegriffen werden. Das kostet Geld, weil weiterhin konventionelle Kraftwerke dafür gebraucht werden. Darum ist im Regierungsprogramm von "100 Prozent (national bilanziell) Ökostrom" die Rede. Bilanziell heißt, Schwankungen werden auch künftig durch Stromimporte oder konventionelle Kraftwerke ausgeglichen.

Deshalb ist ein neues Ökostrom-Gesetz längst überfällig. Das sogenannte Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) befand sich unter der letzten Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bereits in Arbeit. Es hätte zum 1. Jänner 2020 in Kraft treten sollen. Ibiza-Affäre und Neuwahl kamen dazwischen. Kurz vor den Nationalratswahlen hat das Parlament Sonderförderungen für die Ökostromerzeugung in Höhe von rund 540 Millionen Euro verabschiedet. Die Windkraft bekam allerdings keine frischen Gelder. Die vorgesehenen Fördergelder für 2020 und 2021 wurden stattdessen vorgezogen.

Die Windbranche atmete kurz auf. 200 Windräder, die in der Warteschleife hingen, können nun errichtet werden - allerdings über die kommenden vier Jahre verteilt. Denn die Technik ist überholt, neue Genehmigungen sind nötig. Die Warteschlange ist abgebaut, doch es gebe für die kommenden zwei Jahre keine Gelder mehr, kritisiert die IG Windkraft.

Zweifel an Finanzierung

Dies war auch nicht anders möglich. Denn die Subventionierung von Ökostromanlagen unterliegt dem EU-Beihilferecht. Deshalb musste Österreich sich die Förderungen im Ökostromgesetz 2012 von der EU-Kommission genehmigen lassen. Besonders streng überprüft sie die Praxis der Betriebsbeihilfen. Selbst wenn die Windkraftbetreiber nun mehr und frisches Geld fordern: "Es geht aus rechtlichen Gründen nicht, sonst wären es verbotene Beihilfen", sagt Herzele.

Im Regierungsprogramm ist nun von einem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz die Rede, das "so schnell wie möglich" beschlossen werden soll, wie es aus dem Umweltministerium heißt. "Kern des Gesetzes wird sein, dass es keine fixen Einspeisetarife mehr gibt wie bisher, sondern die Ökostrombetreiber ihren Strom selbst verkaufen und zusätzlich eine Marktprämie erhalten", sagt Herzele. Die Prämie soll durch Ausschreibung ermittelt werden. "Wenn wir das Gesetz klug umsetzen, gibt es auch Anreize, dass die Windkraftbetreiber versuchen, Speicher zu errichten und ihren Strom dann zu verkaufen, wenn die Nachfrage danach besteht", sagt die Energieexpertin.

Eine Milliarde Euro Unterstützungsvolumen soll maximal pro Jahr für die Erneuerbaren bereitstehen. Harald Proidl, Leiter der Abteilung Ökoenergie bei der E-Control, hat seine Zweifel an der Finanzierung. "Technisch ist das kein Problem. Die Frage ist, kann man 27 TWh wirklich mit einer Milliarde Euro realisieren?" Neben Windrädern, Photovoltaik-Anlagen und Wasserkraftwerken muss auch die Infrastruktur entsprechend ausgebaut werden. Dass auch hier mit Widerstand aus der Bevölkerung gerechnet werden muss, zeigt die geplante Errichtung einer 380-kV-Leitung in Salzburg. Bürgerinitiativen fordern, dass Teile der Leitung als Kabel unter der Erde geführt werden.

Hauptkritikpunkt bleibt für Proidl aber die langsame Ausbaugeschwindigkeit. "Wir hatten bisher einen Ausbau von 1 TWh pro Jahr, nun brauchen wir drei TWh. Wir müssen jetzt beginnen", sagt Proidl.

Um ein Windrad zu errichten, sind viereinhalb bis fünf Millionen Euro nötig. Vergangenes Jahr haben die Windkraftbetreiber in Österreich 206 Millionen Euro investiert. Die Förderung für den Ausbau zahlen allerdings hauptsächlich normale Stromverbraucher. Von 857 Millionen Euro Förderung (2017) entfielen 375 Millionen Euro auf die Haushalte, also rund 44 Prozent. Heuer wird die Ökostromabgabe von 70 auf knapp über 92 Euro pro Haushalt und Jahr steigen. Die Arbeiterkammer fordert schon lange, die Kosten gerecht zwischen allen Stromverbrauchern aufzuteilen. Denn derzeit zahlen die Haushalte überproportional viel. Bei einem Verbrauch von 25 Prozent zahlen sie 41 Prozent der Gesamtkosten, bei Industrie und Unternehmen ist es umgekehrt. "Diese Schieflage darf sich nicht weiter verschärfen", sagt Herzele.

Stromhunger zügeln

Um die Energiewende 2030 zu meistern, genügt es aber nicht nur, Sonnen-, Wind- und Wasserkraft auszubauen. Der Energieverbrauch muss insgesamt sinken. Denn der Österreicher giert nach Strom. Serien schauen auf der Couch, eine Pizza in den Ofen schieben, die Klimaanlage aufdrehen. Unser Konsumleben braucht Treibstoff. Die Steckdose liefert ihn unnachgiebig.

Seit 2001 ist der Inlandsstromverbrauch um 16 Prozent gewachsen. Daran haben auch Hitzewellen wie die vom vergangenen Sommer ihren Anteil: Der Stromverbrauch in Wien kletterte auf ein Rekordhoch. Künftig wird der Verbrauch weiter zunehmen, wenn mehr Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein werden und Haushalte auf klimafreundliche Wärmepumpen umrüsten sollen.

Die Hoffnungen auf eine ökologisch und sozial verträgliche Energiewende sind nun groß. Denn mit Leonore Gewessler sitzt nicht nur eine Grüne an der Spitze des Umweltministeriums. Sie war mehrere Jahre Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000, die sich dezidiert für Umweltschutz und Klima einsetzt.

Es gibt aber Widerstände, an denen der Ausbau scheitern könnte. Gerade der Ausbau der Windenergie birgt Konflikte in sich, Windparks stoßen nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. "Die Raumwirksamkeit der regenerativen Energien ist das Problem der Zukunft, dass man unterschätzt hat", sagt der Energiewissenschafter Günther Brauner.

Es fehlt an Akzeptanz in der Bevölkerung. Die saubere Windkraft, die mantraartig eingefordert wurde, sie ist nun für manche das Feindbild. Paradoxerweise stellen sich ihr oft Umweltschützer in den Weg. In mehreren Bundesländern haben sich Bürgerinitiativen formiert. In Salzburg und Kärnten befürchtet die Bevölkerung, die Windräder könnten die Landschaft verschandeln. Im Waldviertel sehen Bürger die geschützte Natur bedroht und in Salzburg bangt man, Windräder hätten negative Auswirkungen auf den Tourismus. Die Politik muss hier erst noch Überzeugungsarbeit leisten.