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Schlepper abschrecken, aber wie?

Von Annegret Mathari

Politik

Grenzbalken haben das Schlepperwesen nicht reduziert. Im Gegenteil - die Nachfrage steigt.


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Genf. (sda) "Die Funktion eines Schleppers ist es, das Reisen dort zu erleichtern, wo die Menschen nicht selber weiterkommen; je schwieriger es für Migranten ist, unterwegs zu sein, desto mehr Schlepper werden benötigt", sagte Tuesday Reitano, stellvertretende Direktorin der Genfer Organisation "Global Initiative against Transnational Organized Crime" (GITOC), der Nachrichtenagentur Schweizerische Depeschenagentur (sda).

Schmuggler seien das Symptom, nicht die Ursache der gegenwärtigen schwierigen Zustände an vielen Land- und Seegrenzen sowie an Flughäfen rund um die Welt, sagte Liz Throssell, Sprecherin des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) in Genf.

Das OHCHR sei besorgt, dass die derzeitige Politik gegenüber Schleppern oft auf fehlerhaften Annahmen basiere. Es werde allgemein angenommen, dass allein die Schlepper für die schrecklichen Zustände an vielen Grenzen rund um die Welt verantwortlich seien und die Menschen nicht mehr migrieren würden, wenn alle Schlepper festgenommen würden, sagte Throssell.

"Maßnahmen gegen Schlepper wie das Abfangen von Flüchtlingsbooten und schwer militarisierte Landgrenzen können sich negativ auf die Menschenrechte auswirken", sagte sie. Mehr "sichere und legale Routen" für Flüchtlinge und Migranten empfehlen UNO-Organisationen wie das OHCHR, das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM), um das Schlepperwesen anzugehen. "Der einzige Weg, das Geschäft der Schleppernetzwerke zu zerstören, ist, ausreichende, erschwingliche, sichere und reguläre Migrationswege zu schaffen", sagte Throssell.

Für IOM-Generaldirektor William Lacy Swing ist ein besseres Migrationsmanagement nötig. "Wir brauchen mehr legale Möglichkeiten, um jenen, die unterwegs sind, Schutz zu geben". "Und wir müssen die Migration entkriminalisieren, damit irreguläre Migranten nicht mehr inhaftiert werden." Die oft negative Meinung über die Migration in der Öffentlichkeit müsse sich ebenfalls ändern. "Wir müssen lernen, Vielfalt zu akzeptieren, denn unsere Gesellschaften werden künftig ethnisch und kulturell vielfältiger sein", sagte er.

Es braucht auch Gelegenheiten für Flüchtlinge, eine bessere Zukunft in Würde zu haben. Dass sie während Jahren in stagnierenden Zuständen in Camps leben oder in Nachbarländern marginalisiert werden, sollte vermieden werden.

"Wenn wir von Menschen erwarten, in Gemeinschaften ohne Zukunft zu bleiben, wird es immer einen Markt von Personen geben, die ihnen helfen, illegal zu reisen" sagte Reitano. Das seien die Lektionen der Flucht- und Migrationsbewegung der Menschen aus Syrien und dem Horn von Afrika.

"Wir haben Libyen ignoriert"

Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshochkommissars Filippo Grandi zählen "Umsiedlungen, humanitäre Visa und Familienzusammenführung zu den entscheidenden Mitteln, die es Flüchtlingen ermöglichen, sicher in Drittländer zu reisen".

Die EU müsse ihr Sicherheitsverständnis erweitern, sagte ein westlicher Diplomat in Genf. "Wenn Menschenrechte nicht respektiert werden, führt das zu Instabilität und Migration." Und die Konflikte an Europas Grenzen müssten gelöst werden. "Wir haben Libyen ignoriert", sagte er. Die wirtschaftliche Entwicklung der Länder südlich von Libyen sei ebenfalls auf der Tagesordnung.

Reitano spricht sich für ein besseres Verstehen der irregulären Migration aus, damit wirksame Maßnahmen ergriffen werden könnten. Bei der Migration nach Europa bestehe nicht nur eine einzige Schlepperindustrie, sagte sie. Es gebe mehrere lokale Märkte, die von einem breiten Netzwerk von Akteuren bedient würden, um transnationale Reisen zu ermöglichen. Der Schleppermarkt müsse in jedem Hub und entlang der wichtigsten Migrationsrouten analysiert werden, um die Motivationen all jener zu verstehen, die unterwegs sind, die in dem Handel beschäftigt sind, die den Handel schützen und die davon profitieren.

Erfolgsgeschichten wie die der westlibyschen Küstenstadt Zuwara könnten vertieft studiert werden. Das sollte es ermöglichen, vermehrt die Interessen bewaffneter Gruppen von den Gemeinschaften zu entkoppeln, die sie angeblich schützen, sagte Reitano. Zuwara hatte das Schleppergeschäft nach zwei Jahrzehnten freiwillig aufgegeben, nachdem es im August 2015 drei Schiffsunglücke mit insgesamt 650 Toten vor der Küste der Stadt gegeben hatte. Die Bewohner der Stadt, mehrheitlich Amazigh (Berber), waren seit langem frustriert gewesen, dass ihr Name zum Synonym für das Schlepperwesen geworden war.

Experten sind sich einig, dass Migration weitgehend ein positives Phänomen ist. Die von der UNO-Vollversammlung im September 2016 verabschiedete New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten erinnert an "den positiven Beitrag von Migranten für integratives Wachstum und nachhaltige Entwicklung".

Verjüngung der Bevölkerung

In Zielländern spielen Zuwanderer eine wichtige Rolle für die Wirtschaft von Staaten mit alternder Bevölkerung und mangelnden Arbeitskräften, sagte IOM-Generaldirektor Swing. Und Herkunftsländer profitieren von den Geldüberweisungen, die Migranten ihren lokalen Gemeinschaften zurückschicken. Nach Angaben der Weltbank betrugen die Überweisungen 2015 zum Beispiel nach Mexiko 25 Milliarden US-Dollar (rund 22 Milliarden Euro) und 21 Milliarden US-Dollar nach Nigeria. Solche Überweisungen tragen oft zur Entwicklung bei, indem die Armut vermindert, die Gesundheit und Bildung verbessert werden können; und sie führen zu vermehrten Investitionen in Unternehmen.

Swing zählt auf den Global Compact, ein internationales Abkommen, das Ende 2018 verabschiedet werden soll und in dem "wir einige Verantwortung (der Staaten) für diese Menschen unterwegs festlegen können". Derzeit bestehe kein internationaler Vertrag, der sie schützt, sagte er. Die erwähnte New Yorker Erklärung startete ein zweijähriges Verfahren für den Textentwurf eines Global Compacts für Flüchtlinge und eines Global Compacts für Migranten.

Obwohl der Global Compact für Migranten rechtlich nicht bindend sein wird, wird er dennoch Normen setzen, etwa Richtlinien für die Anstellung von Arbeitskräften, um Schuldknechtschaft oder Menschenhandel zu vermeiden. Der Präsident der UNO-Vollversammlung, Peter Thomson, beauftragte die Schweiz und Mexiko mit der Erarbeitung eines Verhandlungstexts für das Abkommen über Migration.

Das Fördern der regionalen Migration wirke sich in Entwicklungsländern laut Experten positiv auf die Schaffung von Jobs aus, sagte Marina Manke, die Chefin der IOM-Abteilung für Arbeitsmobilität und Entwicklung in Genf.

Nicht nur Europa ist ein Ziel

"Süd-Süd-Migration ist ein großes Thema", sagte sie. IOM verfügt über mehrere Programme, welche die regionale Arbeitsmigration unterstützen, etwa innerhalb des Colombo-Prozesses. Das ist ein regionales Beratungsverfahren für das Management von Übersee-Anstellungen für asiatische Herkunftsländer. Laut IOM verlassen mehr als 2,5 Millionen asiatische Arbeitnehmer pro Jahr ihre Länder, um unter Vertrag im Ausland zu arbeiten. Ein Großteil von ihnen stammt aus Süd- und Südostasien und arbeitet in den Golfstaaten, andere gehen nach Nordamerika, Europa und in andere asiatischen Länder.

In Westafrika unterstützt IOM die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas dabei, das Entwicklungspotenzial des Projekts für Freizügigkeit und Migration der Gemeinschaft zu fördern. Wichtige Themen sind dabei das Management von Migrationsdaten und Grenzkontrollen sowie Arbeitsmigration und der Kampf gegen Menschenschmuggel.