Zum Hauptinhalt springen

Schleuser im Namen Gottes

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Eine ökumenische Initiative will 1000 hilfsbedürftige Flüchtlinge auf legalem Weg nach Italien bringen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Rom. Es war im September vergangenen Jahres, als Papst Franziskus Pfarreien, Klöster und religiöse Gemeinschaften aufrief, jeweils eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Barmherzigkeit als Christenpflicht? Ein ökumenisches Bündnis in Italien ist weit über die päpstliche Anregung hinaus gegangen und bringt systematisch Migranten nach Italien, auf ganz legalem Weg.

Die katholische römische Laiengemeinschaft Sant’Egidio, die über beste Kontakte zu Papst Franziskus verfügt, der Bund der evangelischen Kirchen in Italien sowie die Waldenser-Kirche haben seit Februar über 200 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak per Visum nach Italien geholt. Als "humanitärer Korridor" wird die Initiative von ihren Organisatoren bezeichnet.

In zwei Schüben kamen hilfsbedürftige Migranten bereits per Flugzeug von Beirut in Rom an. Ende Mai wird die dritte, etwa 60 Personen umfassende Gruppe erwartet.

Innerhalb von zwei Jahren wollen Sant’Egidio, evangelische Kirchen und Waldenser auf diesem Weg rund 1000 Flüchtlingen eine Zukunft geben. Wer vermutet, der italienische Staat habe den Christen bei ihrer Hilfsaktion Steine in den Weg gelegt, täuscht sich. Die Kirchenvertreter unterzeichneten ein Abkommen mit der italienischen Regierung, die die Initiative sogar gutheißt.

"Humanitäre Korridore sindNeuheit in Europa"

"Die humanitären Korridore sind eine absolute Neuheit in Europa", sagte der stellvertretende italienische Außenminister Mario Giro bei der Begrüßung der zweiten Flüchtlingsgruppe vor ein paar Tagen auf dem Flughafen von Rom.

Derzeit funktioniert das Projekt mit dem Libanon, demnächst sollen auch Flüchtlinge über Marokko und Äthiopien nach Italien gelangen. Unter den Migranten sind vor allem Familien in großen Schwierigkeiten, etwa mit kranken Kindern, Behinderten, die medizinische Hilfe benötigen, oder alleinstehende Mütter.

Über ein Kontaktbüro der Organisationen in Beirut werden die meist in Flüchtlingslagern lebenden Ausreisewilligen ausgewählt. Aktivisten begleiten die Familien vor Ort bei der Beschaffung aller notwendigen Dokumente. Die italienische Botschaft in Beirut gibt schließlich grünes Licht und stellt ein auf Italien beschränktes Visum aus.

Rechtlich ist die Sache einwandfrei: Nach der EU-Visaverordnung von 2009 können die sonst so strengen Einreisebedingungen in die EU durch "Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit" umgangen werden. Etwa dann, wenn die jeweilige Regierung es "aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich hält". Die strengen Schengen-Regeln treten dann außer Kraft.

Bei der Einreise werden Dokumente und Fingerabdrücke überprüft, zuvor müssen die lokalen Behörden im Libanon eine Genehmigung erteilen. In Italien beantragen die Flüchtlinge Asyl. "Dieses Projekt garantiert die Sicherheit der Flüchtlinge, aber auch die Sicherheit der Bürger Europas", sagt Daniela Pompei von Sant’Egidio. Die Schleuser-Kriminalität werde ebenso umgangen wie lebensgefährliche Überfahrten über das Mittelmeer, die Identität der Ankömmlinge werde mehrmals überprüft.

Sprachunterricht undHilfe bei der Arbeitssuche

Sämtliche Kosten tragen die Organisationen mit Spendengeldern, etwa eine Million Euro soll derzeit für das Projekt zur Verfügung stehen. Nach ihrer Ankunft werden die Familien auf Einrichtungen der beteiligten Organisationen verteilt, vom nördlichen Piemont bis in die südliche Basilicata, bekommen Sprachunterricht oder Hilfe bei der Arbeitssuche.

"Unser Projekt kann man sehr gut andernorts wiederholen, weil es den Staat nichts kostet", sagt Marco Impagliazzo, Präsident der Gemeinschaft Sant’Egidio. "Alles liegt in den Händen von Verbänden und dennoch verläuft die Aufnahme der Flüchtlinge nach europäischen Regelungen." Auch jeder andere EU-Staat könnte es den Italienern gleichtun.