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Klimaschutz, nachhaltiges Bauen und die dazu verbreiteten Mythen. | Eine Antwort auf den Gastkommentar von Klaus-Jürgen Bauer.
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Vor ein paar Wochen war es Klaus-Jürgen Bauer, Autor der Streitschrift "Entdämmt Euch!", der an dieser Stelle über Energieeffizienz und das Dämmen von "massebasierten Altbeständen" schrieb. Er wälzte Gedanken zur angeblichen Vorschriftenflut der Europäischen Union (von der Dämmindustrie angetrieben), vom "Solarhaus der Hippies", das zum "Polarhaus, einem Iglu aus weißen Erdöl-Granulaten" wurde, und zum mit all diesen "Fakten" verbundenen "Kulturverlust" aufgrund des "Verschwindens einer massebasierten, gebauten Welt".
Als bekennender Freund des intelligenten Kommentars kann auch der Autor dieser Zeilen mit Polemik umgehen, sofern diese eine wichtige Eigenschaft beachtet: Sie dient der Wahrheit, bringt mit Fakten Dinge auf den Punkt, die sonst unausgesprochen bleiben. Klaus-Jürgen Bauers Beitrag erfüllt diese Eigenschaft in vielen Aspekten leider nicht.
Die erzählte Geschichte beginnt mit dem ältesten Holzhaus Europas (errichtet 1176), welches sich bis 2001 in Nideröst im Kanton Schwyz befunden hat. Dieses Haus tritt als "Kronzeuge" des Kulturverlusts aufgrund der europäischen Regelwut auf. Weil Nideröst nicht mehr energieeffizient gewesen sei, wurde es abgerissen. Zahlreiche andere werden folgen. Zumindest sieht das Bauer so.
Bauer schreibt: "Ein Haus, das unfassbare 825 Jahre lang bewohnt wurde, war plötzlich nicht mehr tauglich! Das Schicksal des Hauses Nideröst ist kein Einzelfall. Über Nacht waren nämlich alle massebasierten Altbauten - circa 25 Prozent des Hausbestandes - nicht mehr energieeffizient. Überall wird daher der Altbestand aufgegeben."
Diese Zeilen erzeugen emotionale Betroffenheit, befördern in Kopf wie Bauch Wutgedanken. So kann es nicht gehen, was erlauben sich diese Energieeffizienz-Bürokraten - über Nacht nehmen sie uns das älteste Holzhaus Europas und ein Viertel des Hausbestands gleich dazu! Die Wut ist verständlich, hat nur einen wesentlichen Haken: Der Auslöser für diese Gefühlslage entspricht nicht der Realität, ist schlichtweg falsch. Das Haus Nideröst wurde zuletzt im Jahr 1980 bewohnt und danach als Lagerschuppen verwendet. Es wurde vom Denkmalschutz entwohnt und in vielen Bereichen verfallen vorgefunden. An seiner Stelle sollte daher ein neues Haus errichtet werden, da das alte Gebäude mit seinen nur 1,60 Meter hohen Räumen, zum Teil verfaulten Böden und Außenwänden schlichtweg nicht mehr benutzbar war.
Der Streit zwischen Denkmalschutz (in der Schweiz: Heimatschutz) und Eigentümerfamilie entzündende sich also an einem wirtschaftlichen Interessenskonflikt. Und trotz intensiver Recherche findet sich zumindest in öffentlich zugänglichen Dokumenten, Berichten, ja sogar in der 38-seitigen archäologischen Baudokumentation zum Objekt kein einziges Mal das Wort "Energie" oder "Effizienz". Vom "Abbruch aufgrund fehlender Energieeffizienz" keine Spur, schon gar nicht per Verordnung, wie die oben zitierte Geschichte vermuten lässt. Woher das vorgetragene zentrale Argument gegen die Energieeffizienz herkommt, ist an diesem Beispiel schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Keine Glaubensfragen,sondern einfach Physik
Wenig nachvollziehbar sind auch andere Mythen, die rund um das Thema Energieeffizienz gerne unter die Leute gebracht werden. Ein paar Kostproben dazu. Dämmen macht krank, gefährdet die Gesundheit! Falsch, es gibt keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, bei der aufgrund hoher Dämmstandards erhöhte Erkrankungen der Bewohner festgestellt wurden. Richtig ist, dass Schimmel zu den häufigsten Ursachen für wohnbezogene Erkrankungen zählt. Gut gedämmte und belüftete Gebäude vermeiden Schimmel. Schimmelbelastungen gibt es vor allem in Altbauten mit Feuchteeintrag und schlechter Belüftung.
Mehr Öl in der Fassade, als jemals an Energie eingespart wird? Falsch, die "graue Energie" unterschiedlicher Dämmstoffe, also die Energie, die unter anderem für die Herstellung, den Transport, den Verkauf und die Entsorgung eines Produktes verbraucht wird, amortisiert sich je nach Dämmstoff und Energieverbrauch im Betrieb innerhalb von wenigen Monaten bis zu maximal drei Jahren - also jedenfalls sehr lange, bevor die Dämmung erneuert werden muss.
Ein weiterer Mythos: Es rechnet sich wirtschaftlich nicht, die Gebäude verbrauchen mit Dämmung mehr als ohne! Ebenfalls falsch. Jedes gedämmte Gebäude benötigt gegenüber einem ungedämmten Gebäude mit gleicher Nutzung weniger Energie, das Ausmaß hängt nur von der Dämmstärke ab. Und bitte: Das ist keine Glaubensfrage, sondern schlicht und einfach Physik.
Kosten für Energieeffizienz spielen nur Nebenrolle
Energieeffizienzmaßnahmen sind die zentralen Kostentreiber für den Wohnbau? Falsch, in Österreich sind wie überall anderswo die Wohnkosten in erster Linie von den Grundstückskosten abhängig, in zweiter Linie von der Kompaktheit des Gebäudes. Einfamilienhäuser und dergleichen sind je Wohneinheit schlichtweg teurer als kompakte Wohnhausanlagen - zumindest, wenn sie nicht "schwarz" gebaut werden.
Die Kosten für Energieeffizienz nehmen im Vergleich dazu ebenso eine Nebenrolle ein wie auch Kosten für Barrierefreiheit, Brandschutz und dergleichen. Sie bewegen sich anhand tausender Beispiele in Österreich belegbar irgendwo zwischen null und vielleicht fünf Prozent der Errichtungskosten.
Lange bestehende Gebäude sind immer nachhaltiger und effizienter als neue oder sanierte Gebäude? Unglaublich falsch, wenn sie so belassen werden sollen, wie sie sind. Die "graue Energie" eines Gebäudes macht bei einer 100-jährigen Betrachtung je nach Effizienzstandard und Bauweise zwischen unter 10 und vielleicht 20 Prozent des Gesamtenergieaufwandes aus. Schlecht oder gar nicht gedämmte Gebäude unabhängig vom Baualter verbrauchen ein Zigfaches an Energie gegenüber effizienten Gebäuden. Und bitte: Auch das ist keine Glaubensfrage, sondern Physik.
Der Schlusssatz in Klaus-Jürgen Bauers Kommentar kann nur als großer, finaler Irrtum bezeichnet werden: "Wenn wir die Zusammenhänge richtig deuten, dann werden wir auch nicht mehr dämmen müssen." Zusammenhang? Fakten? Nicht vorhanden, beginnend mit der Geschichte vom ältesten Holzhaus. Was in Artikeln wie diesen zum Ausdruck kommt, ist eine unglaubliche Emotionalität, die bewusst oder unbewusst Versatzstücke von Argumenten neu ordnet und damit ein neues Bild erschaffen will, in dem der Klimaschutz und die deshalb notwendige Energieeffizienz von Gebäuden als Begründung für nichts Geringeres als dem Niedergang der Kultur gedeutet wird.
Bessere Effizienz auch imSinn der Reparaturkultur
Josef Haslinger hat im Jahr 1987 mit "Politik der Gefühle" einen herausragenden Essay darüber verfasst, was die Macht der Gefühle gegenüber der Banalität des Faktischen auszurichten vermag. Auch wenn der Anlassfall ein anderer war, trifft die Kernaussage Haslingers auch auf die Gegenwart zu: Das postfaktische Zeitalter ist angebrochen, weil das Faktische uns aufzeigt, dass wir an allen Ecken und Enden anstehen. Der Klimawandel ist eine dieser Ecken, und er ist ein ganz mächtiges Ende.
In einem ist Klaus-Jürgen Bauer eindeutig recht zu geben: "Wir müssen gerade deshalb zu einer Reparaturkultur zurückfinden, die uns ermöglicht, mit wenig Aufwand und wenig Energie gebaute Massen so lange wie möglich zu nutzen." Aber gerade deshalb ist die deutliche Verbesserung der Energieeffizienz bei den über zwei Millionen bereits vorhandenen Gebäuden in Österreich unabdingbar. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es den konstruktiven Dialog abseits der Mythenbildung mehr denn je.
Robert Lechner ist Leiter des Österreichischen Ökologie-Instituts, einer von Politik und Wirtschaft unabhängigen Umweltforschungs-NGO, sowie ehrenamtlicher Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. In Forschung und Beratung beschäftigt er sich umfassend mit Fragen des Nachhaltigen Bauens und konkreter Möglichkeiten zur Gebäudeoptimierung.