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"Rational Choice" nennt die Wahlverhaltensforschung ihr Modell, wonach die Wähler ihre Entscheidung nach rein rationalen Motiven treffen. Dieser Erklärung zufolge würden sich die Bürger bei ihrer Stimmabgabe von den Programmen der Parteien leiten lassen. Schön wär’s. Meist ist die Entscheidungsfindung eher unterkomplex, und es ist die Politik der Gefühle und der Gestalten, die wirklich zählt. Bauchgefühl und Auge geben den Ausschlag, nicht die akribische Abwägung nach dem Studium der Wahlprogramme.
Schade eigentlich.
Denn für den nahenden Wahlgang am 15. Oktober hätten die "Rational Choice"-Wähler recht klare Alternativen. Einerseits Christian Kerns SPÖ-"Plan A". Andererseits: Die Punkte im Wirtschaftsprogramm der Freiheitlichen unterscheiden sich nicht sehr von den Positionen der ÖVP: Abgabenquote senken, gegen Klassenkampf und Erbschaftssteuer, Sozialleistungen runterfahren. Plus: Österreichs Sozialsystem wird durch Flüchtlinge und Migranten in Gefahr gebracht. Für das Programm der Volkspartei muss man sich allerdings einstweilen noch mit Geduld wappnen.
Das jetzt vorgelegte Wirtschaftsprogramm der Freiheitlichen ist jedenfalls inhaltlich recht schlicht und wird von Plattitüden dominiert. So ist die größte Sorge im Bildungs- und Forschungskapitel des FPÖ-Papiers die "ideologische" Ausrichtung der Wissenschaft. Anzahl der Stellen, an denen das Wort "Start-up" vorkommt: eine einzige. Die Vision der FPÖ für Österreichs Wirtschaft ist nicht ein dynamisches Silicon Valley der Computerwissenschaften und der künstlichen Intelligenz oder ein Paradies für die Avantgarde der Biotech-Unternehmer, sondern der Erhalt der Kettenraucher-Artenschutzgebiete in den Gaststuben der Republik. Vielleicht liegt es daran, dass Wähler mit höherer Bildung nicht zur Kernzielgruppe der Freiheitlichen zählen? Was aber den kleinen Mann von Simmering bis Kapfenberg irritieren sollte (Achtung, FPÖ-Kern-Zielgruppe!): Die Diskussion um Wertschöpfungsabgabe und Erbschaftssteuer ist für die Freiheitlichen nichts weniger als "Klassenkampf". Wie aber erklärt man arbeitenden Menschen, dass leistungslose Millionen-Erbschafts-Einkommen weiterhin mit null Prozent besteuert werden und eine Firma, die Roboter, statt Arbeiter beschäftigt, weiterhin steuerlich viel besser fährt?