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Schlimmer als die Große Depression? Eine Replik

Von Ferry Stocker

Gastkommentare

Eine kleine Portion "Gegengift" zu dem Geist, der den jüngsten Kommentar Christian Ortners prägte, scheint angebracht: Wenn in Bezug auf Auftragsbücher und Exportorder in einigen Branchen schon jetzt nahezu das eingetreten ist, was in der Großen Depression bezüglich der Welthandelsvolumina vier Jahre dauerte, nämlich eine Reduktion um ein Viertel - vielleicht ist das Schlimmste schon erreicht?


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Es kann fast nur noch aufwärts gehen. Nur was, wenn das tatsächlich eintritt? Wenn der Abschwung hart, deutlich aber kurz ist? Infolge fallender Preise die Nachfrage ebenso rasch wieder anzieht, wie sie eingebrochen ist? Nur dann durch enorme Staatsausgabenprogramme verdrängt wird und uns - ebenso überraschend wie derzeit Deflationstendenzen - in Folge ein drastischer Inflationsschub droht? Und woher nehmen wir die Gewissheit, dass sich dieser in der Tat sehr markante Abwärtsprozess in einigen Industrien fortsetzt? Umkehren wird er sich, und zwar viel rascher als gedacht.

Die Reduktion von Lkw-Bestellungen oder Jobs ist Ausdruck des Bemühens, auf Liquiditätsengpässe und teils schon eingetretene oder erwartete Nachfragerückgänge zu reagieren. Individuell, für die einzelne Firma, ist das sinnvoll, makroökonomisch führt es in die bekannte Rationalitätenfalle: Senken alle die Kosten, sinkt die Nachfrage, die Produktion muss erneut reduziert werden. Gerade darum ist es zentral, dass nicht auch die Haushalte (die ja den größten Teil zur gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beisteuern) vom Ausgabensenkungsvirus befallen werden.

Das wirklich Bedenkliche an der Krise sind Unwille und Unvermögen, sich solide mit den Ursachen auseinanderzusetzen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das Fatale ist die Kombination aus mangelndem Verständnis/Willen und politischem Aktionismus, bei dem ein Politiker den anderen im Umfang wie in der Inkonsistenz der "ausgedachten Hilfsprogramme" zu übertrumpfen sucht.

Ist durch die Krise irgendein reales Vermögensgut, gar eine Immobilie eingestürzt und hat tausende Mitarbeiter samt deren Know-how, Tatkraft, Erfindungsgeist, Mut begraben? Gott sei dank nicht! Alle realen Vermögenswerte sind unbeschadet - der Finanz-Tsunami kann ihnen real nichts anhaben, wohl aber ihre Bewertung drastisch verschlechtern. Und damit peinliches Klagegeschrei auslösen. Sind die enormen Gewinne der Vorjahre vergessen?

Womit wir bei einer der eigentlichen Krisenursachen sind: den viel zu hohen Schulden vieler Akteure, vor allem vieler Banken, die sich im wohligen Kokon intensiver Bankenregulierung mehr und mehr als Hedgefonds entpuppen (die sich ja völliger Regulierungsfreiheit rühmen). Das ohne Beschönigung aufzuzeigen, sollte der erste Schritt sein, die Situation zu bereinigen und die Zukunft zu gestalten - und nicht in Panikmache oder Apathie zu verfallen.

Ansonsten ist zu befürchten, dass der Finanz-Tsunami auch das Humankapital ernstlich geschädigt hat.

Ferry Stocker ist Fachbereichsleiter Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiener Neustadt.