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Berlin hatte kein Schloss, Berlin war das Schloss: Dieser Satz von Wolf Jobst Siedler ist umstritten. Fakt aber ist, dass das ehemalige Herz der Stadt derzeit ein peinliches Vakuum ist.
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Das Berliner Stadtschloss, Sitz der preußischen Herrscher, hätte trotz der Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg durchaus noch gerettet werden können. Doch der damalige Machthaber der Deutschen Demokratischen Republik, Walter "Spitzbart" Ulbricht sprengte das in den Augen der Kommunisten unerträgliche Symbol des Feudalismus 1950 erbarmungslos in die Luft - ungeachtet aller internationalen Proteste.
An seiner Stelle errichtete der "Arbeiter- und Bauernstaat" den berühmt-berüchtigten Palast der Republik, einen langweiligen Bau im Zeitgeist der späten 60er-Jahre mit kupfergedampfter Glasfassade. Wegen der aus Österreich stammenden Riesenluster wurde der Protzbau "Erichs Lampenladen" genannt, weil der Nachfolger Ulbrichts, Honecker, mit Vornamen Erich hieß.
Die große Mehrheit des wiedervereinigten Berlin wünschte sich nach dem Untergang der DDR das barocke Stadtschloss der Hohenzollern zurück. Doch dann holten die organisierten "Ostalgiker" zum Gegenschlag aus, dichteten dem Lampenladen nachträglich eine nie wirklich vorhandene Popularität nach und verstanden es - bis hin zu Demos und Boykott - sowohl den Abriss des DDR-Baues zu verzögern als auch den Gedanken an den Wiederaufbau des Schlosses zu sabotieren.
Dass die Diskussion um die künftige Mitte der Stadt leidenschaftlich und kontrovers geführt wurde, sollte man anerkennen. Die städtebauliche Vernunft obsiegte letztlich. Die Errichtung eines zentralen Kulturbaues in der Kubatur des alten Stadtschlosses mit den alten Fassaden auf den Seiten, die der Stadt zugewandt sind, wurde beschlossen. Die Finanzierung sollen der Bund, das Land Berlin, der Förderverein Stadtschloss und private Spender auftreiben.
Ein sinnvoller Verwendungszweck war auch alsbald gefunden: Neben der Unterbringung der Bibliothek für die Humboldt-Universität soll das künftig "Humboldt-Forum" genannte Bauwerk auch als Ausstellungsort für die Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dienen. Wenn alles gut geht, soll der Bau schon in acht Jahren vollendet sein.
Doch bis dahin kann man in einem temporären Informations- und Ausstellungsgebäude seinen Schlossträumen nachhängen. Anfang Juli wurde auf dem Schlossplatz die "Humboldt-Box" eröffnet, 28 Meter hoch, eine überdimensionierte, fünfstöckige Tetrapakschachtel, die als Vorbote für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss dienen soll.
Der provisorische Bau wird von den Betreibern so beschrieben: "Es ist die Anmutung einer gebauten Skulptur, die in ihrer Erscheinung Elemente des Provisorischen und Flüchtigen vereint, wie man sie von Pfahlbauten oder Festzelten kennt."
Auf 3000 Quadratmetern Gesamtfläche zeigen die künftigen Nutzer - die Staatlichen Museen zu Berlin, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie der Förderverein Berliner Schloss -, wie das neue alte Stadtschloss aussehen soll. Der Besucher kann sich bei einem Rundgang ein Bild machen von der mühsamen Rekonstruktion der barocken Fassadendetails, den Ausblick auf das Zentrum der Stadt genießen, auf der Terrasse bei einer Tasse Kaffee chillen und - wenn ihm danach ist - sogar heiraten.
Wie auch immer: Es wird endlich ernst mit dem größten deutschen Kulturprojekt dieses Jahrhunderts!
Markus Kauffmann, seit 1984 Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.
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