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Schlupflöcher für Massenvernichtungswaffen

Von Charles J. Hanley, AP

Politik

Ungeachtet etlicher internationaler Verträge steht es schlecht um Abrüstung und Kontrolle nuklearer, chemischer und biologischer Waffen: Den Überwachungsbehörden fehlt es an Geld und Personal. So konnte die Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW) nach eigenen Angaben weltweit erst 1 Prozent aller verdächtigen Chemiewerke überprüfen. Pläne, Tausende Tonnen von Kampfstoffen in den USA und Russland zu vernichten, wurden stillschweigend um mehrere Jahre verschoben.


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"Es gibt eine Besorgnis erregende schrittweise Aushöhlung der internationalen Normen zu Massenvernichtungswaffen", erklärte jüngst UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Offenbar mit Blickrichtung auf die Absage von US-Präsident George W. Bush an eine Kontrolle des Verbots von Biowaffen kritisierte Amy Smithson, Abrüstungsexpertin am Henry-Stimson-Center in Washington: "Die Regierung Bush hat eine starke Abneigung gegen multilaterale Maßnahmen." Dabei ist vor allem in Amerika nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und nach Anthrax-Briefen die Angst vor Massenvernichtungswaffen groß.

Mit Finanzmitteln von nur 100 Millionen Dollar jährlich und einem Personal von lediglich 250 Inspektoren solle die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages durch mehr als 180 Staaten überwachen, kritisierte IAEA-Koordinator Tariq Rauf. Noch immer sind drei Atommächte - Indien, Pakistan und Israel - dem Vertrag nicht beigetreten. Nordkorea verließ das Abkommen im Jänner, der Iran forciert nach US-Angaben heimlich den Bau einer Atombombe.

Der Atomwaffensperrvertrag sieht zudem keine zeitlichen Vorgaben für die atomare Abrüstung vor. Auch biete er ein "gigantisches Schlupfloch", befürchten Experten, da er zwar den Nicht-Atom-Mächten den Aufbau von Atomwaffenprogrammen verbiete, nicht aber die Anreicherung von Uran. Für "zivile Zwecke" angereichertes Uran könne jedoch schnell als Rohmaterial für Atomwaffen verwendet werden. Staaten, die - meist unter der Hand - atomare Technologien exportieren, sollten daher freiwillig darauf verzichten: Die Volksrepublik China verkaufte notwendige Teile einer Zentrifuge an Pakistan, deutsche Firmen unterstützten in den achtziger Jahren den Irak mit entsprechenden Bauteilen.

Auch die OPCW komme wegen Geldmangels und einer "Politik des Alleingangs" vor allem der USA nicht voran, kritisierte der frühere OPCW-Generaldirektor Jose Mauricio Bustani. Die Beiträge von einem Drittel der Mitgliedstaaten stehen für dieses Jahr noch aus. Für die Kontrolle von weltweit 5.000 Chemieanlagen fehlt nach Angaben von Generaldirektor Rogelio Pfirter die Zeit, da die Inspektoren hauptsächlich mit amerikanischen und russischen Kampfstoffen beschäftigt seien. Allein in den USA lagerten mehr als 31.000 Tonnen Nervengas, etwa ein Viertel davon wurde entsorgt. Russland hat nach der Zerstörung eines kleinen Teils seiner Vorräte um eine Verlängerung des Zeitplans gebeten. Auch kleine Fabriken in Entwicklungsländern machen der OPCW Sorgen: Thiodiglycol beispielsweise ist ein Vorläufer von Senfgas, das Haut, Lungen und Augen verätzt, wird aber auch als industrielles Lösungsmittel bei der Kunststoffproduktion eingesetzt.

Zwar gilt das Chemiewaffenabkommen von 1997 bis heute als der fortschrittlichste globale Abrüstungsvertrag. Im April äußerte jedoch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) seine Bedenken wegen des "wachsenden Interesses von Polizei, Sicherheitsdiensten und bewaffneten Einheiten am Einsatz chemischer Kampfstoffe". Im Oktober starben beim Einsatz von Giftgas in einem Moskauer Theater durch die Sicherheitskräfte fast 130 Menschen. Mit dem Nervengas Sarin töteten Terroristen in der Tokioter U-Bahn 1995 zehn Menschen, 4.500 wurden verletzt.