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Schluss mit der Sozialstaats-Askese

Von Brigitte Pechar und Walter Hämmerle

Politik

In Zeiten der Hochkonjunktur sind Budgetüberschüsse wünschenswert. | Lockerung des Berufsschutzes bei Angestellten. | "Wiener Zeitung": Herr Bundesminister, Sie pflegen Öffentlichkeit und ÖVP regelmäßig mit neuen Ideen und Forderungen zu überraschen. Womit wollen Sie heute unsere Leser überraschen?


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Erwin Buchinger: Derzeit ist von meiner Seite kein Vorschlag geplant.

Wie wichtig ist für Sie das Erreichen des Nulldefizits?

Ich rechne, dass wir bereits 2008 aufgrund der guten Konjunktur ein Nulldefizit schaffen. Ich halte das aber auch für notwendig, immerhin brummt die Konjunktur. In dieser Situation sind Defizite auch für einen linken Keynesianisten nicht wünschenswert. In Hochkonjunktur-Phasen sollten sogar Überschüsse erwirtschaftet werden, um später gegensteuern zu können.

Wird es über das Regierungsprogramm hinaus gehend weitere Projekte geben?

Mit Sicherheit. Die ÖVP hat ja auch dank eines Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses die Erbschafts- und Schenkungssteuerfreiheit durchgesetzt, obwohl das nicht im Regierungsprogramm steht. Umgekehrt werde ich sozialpolitische Vorschläge weiterentwickeln und versuchen, die ÖVP davon zu überzeugen.

Wie wollen Sie das schaffen? Bei Erbschafts- und Schenkungssteuer brauchte es keine Zustimmung der SPÖ.

Ob ich mich durchsetzen kann, wird sich erst zeigen. Bei meinem Vorschlag etwa, die Hacklerregelung (nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Pension; Anm.) unbefristet zu verlängern, gab es sehr unterschiedliche Wortmeldungen aus der ÖVP: Der ÖAAB war dafür, der Wirtschaftsbund dagegen. Ich bin zuversichtlich, dass noch in dieser Legislaturperiode die unbefristete Verlängerung kommt. Beim Papamonat gibt es aus der ÖVP derzeit noch überwiegend Ablehnung, aber auch hier mehren sich positive Stimmen.

Stichwort Hacklerregelung: Dabei können Personen vor dem gesetzlichen Antrittsalter abschlagsfrei in Pension gehen, obwohl sie noch voll arbeitsfähig sind und auch einen Job haben. Warum?

Wer als Mann 45 Jahre gearbeitet und Beiträge bezahlt hat, der ist in aller Regel physisch und psychisch ausgelaugt. Da ist das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gerechtfertigt, auch wenn die strengen Voraussetzungen für eine Invaliditätspension nicht gegeben sind. Das Zweite ist, dass wer 45 Jahre gearbeitet, auch einen Großteil seiner Pension durch seine Beiträge finanziert hat. Der Grundsatz "45 Jahre sind genug" tut den Menschen gut und ist auch leistbar.

Bei der Reform der Invaliditätspension ist auch der Berufsschutz ein Thema. Dieser ist bei Facharbeitern und Angestellten gut ausgebaut. Sie wollen diesen auf ungelernte Arbeiter ausdehnen.

Einen gleichwertigen Berufsschutz für alle einzuführen ist nur ein Aspekt bei der Reform der Invaliditätspension. So müssen die Unternehmen spürbar mehr in den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz investieren, hier hinkt Österreich in Europa hinterher. Man muss aber auch den Berufsschutz der Facharbeiter und Angestellten kritisch diskutieren. Wenn jemand arbeitsunfähig ist, sollte er nicht sofort in die Berufsunfähigkeitspension geschickt, sondern für vergleichbare Jobs umgeschult werden. Hier wird eine Reformkommission Vorschläge machen. Zusätzlich habe ich eine Studie in Auftrag gegeben, die untersuchen soll, ob Personen, deren Antrag auf Invaliditätspension abgelehnt wurde, wieder am Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten oder in Arbeitslosigkeit blieben. Ich habe Zweifel, ob der Arbeitsmarkt ein Angebot für solche Fälle hat.

Lockerungen beim Berufsschutz für Angestellte sind für Sie also ein Thema?

Ich habe hier noch keine abgeschlossene Meinung. Ich schließe das aber nicht aus, es kommt auf das Gesamtpaket an. Sicher ist, dass ich den Berufsschutz für die ungelernten Arbeiter verbesern will.

Ist es für Sie vorstellbar, mit einem Lohnzuschlag einen Berufswechsel für Teil-Invalide zu fördern?

Pensionsexperte Tomandl hat hier den Vorschlag einer Teilzeit-Invaliditätspension gemacht. Ich schließe nicht aus, dass in diese Richtung weitergearbeitet wird, aus heutiger Sicht bin ich jedoch eher skeptisch. Ich sehe keinen Arbeitsmarkt für Teilzeit-Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.

Sie haben für die Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung von 4 Prozent angeregt. Für die Pensionisten ist im Budget 2008 nur für eine Erhöhung von 1,7 Prozent vorgesorgt. Die Pensionistenvertreter fordern aber 2,1 Prozent. Unterstützen Sie diese Forderung?

Die 1,7 Prozent entsprechen den derzeitigen Gesetzesbestimmungen, in denen geregelt ist, dass die Erhöhung der Pensionen der Steigerung der Verbraucherpreise zu entsprechen hat. Dafür wurde vorgesorgt. Jede Abweichung davon braucht eine Gesetzesänderung, die auf höchster politischer Ebene ausverhandelt werden müsste.

Zu überlegen wäre gegebenenfalls, die Teuerung bei den Grundnahrungsmitteln durch einen Sonderaufschlag bei den Niedrigeinkommen abzufedern.

Sehr viel höher als Minister kann man in der Politik-Hierarchie nicht mehr steigen - und dennoch muss man selbst hier erkennen, dass der Spielraum, die eigenen Vorstellungen umzusetzen, eng ist. Frustrierend, oder?

Ich habe schon in meinen drei Jahren als Salzburger Landesrat die Erfahrung machen müssen, dass man nicht alle Ideen auch umsetzen kann. Dazu kommt die Notwendigkeit, Kompromisse zu schließen. Das gehört zum politischen Handwerkszeug, das kann und darf einen nicht frustrieren.

Grundsätzlich habe ich aber eine andere Auffassung vom Politiker-Dasein als mancher Kollege: Ich messe den Erfolg gerade eines Ministers nicht nur an dem, was er in den nächsten Monaten an Gesetzesprojekten umsetzen kann. Dieses kurzfristige Denken halte ich für eines der wesentlichen Probleme der gegenwärtigen Politik. Dadurch geraten langfristige Zielsetzungen aus dem Blickwinkel. Ich will Themen ansprechen und im Gespräch halten, auch wenn sie nicht sofort umgesetzt werden.

Wenn Sie alle Ihre politischen Visionen umsetzen könnten, fürchten Sie da nicht, dass Sie von späteren Generationen als Totengräber des Sozialstaats bezeichnet werden könnten - einfach, weil sich Ihre Ideen als nicht finanzierbar erwiesen?

Nein, überhaupt nicht. Ich halte es für eines der größten Übel der Vorgängerregierung, dass in den Köpfen vieler Österreicher die Angst vor der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaats verankert wurde. In Wirklichkeit ist es so, dass die Gesellschaft Jahr für Jahr reicher wird - und zwar im langfristigen Durchschnitt um etwa zwei Prozent pro Jahr. Deshalb kann der Sozialstaat sogar - allerdings mit Augenmaß - ausgebaut werden. Man muss allerdings dafür sorgen, dass dieses Wohlstandswachstum auch in Zukunft sichergestellt wird und der erhöhte Wohlstand gerecht verteilt wird. Hier sage ich: Sozialschutz ist auch eine Produktivkraft. Deutlich wird das etwa bei der Bildung für die unteren Schichten: Auf die Leistungskraft von 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung zu verzichten, halte ich fast für ein Verbrechen.

Wie definieren Sie Reichtum?

Wohlhabend ist für mich, wer ein Vermögen von zwei-, dreihunderttausend Euro besitzt; Reichtum beginnt ab einer Million.

Und wer soll jetzt bei der für 2010 geplanten Steuerreform entlastet werden?

Die Hauptentlastung muss auf den Mittelstand entfallen, also Einkommen zwischen 30.000 und 50.000 Euro im Jahr.

Ab 51.000 fällt man dann aber abrupt in den Spitzensteuersatz von 50 Prozent.

Deshalb muss man auch die beiden Pole im Auge haben: Es solte sowohl für die Niedrigeinkommen von weniger als 30.000 Euro etwas getan werden - die ÖVP will hier die Sozialversicherungsbeiträge verringern, ich plädiere für den Ausbau der Negativsteuern. Ich sage aber auch ganz klar als Linker in der SPÖ, dass man am oberen Ende entlasten muss. In den Spitzensteuersatz sind in den letzten Jahren Personen hinein gerutscht, für die er nicht gedacht war.

Auf 60.000, 70.000 Euro?

Nein, das ist zu hoch. Aus meiner Sicht muss ein Fünfer vorne stehen.

Gibt es Neues zur Finanzierung von Pflege und Mindestsicherung?

Nein, aber wir sind jetzt auch mitten im Sommer. Noch im August beginnen die nächsten Verhandlungsrunden mit den Ländern.

Eine Einigung muss spätestens bis Jahresende stehen. Was, wenn die nicht gelingt?

Ich bin hier zuversichtlich. Sollte es jedoch zu keiner Einigung mit den Ländern kommen, dann müsste der Bund ernsthaft überlegen, ob er die beiden Projekte allein schultert oder sich von ihnen verabschiedet. An diesem Szenario kann aber eigentlich niemand Interesse haben.