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Schlüsselrolle für Polen bei Lösung der politischen Krise in der Ukraine

Von Piotr Dobrowolski

Politik

Je näher in der Ukraine ein endgültiger Sieg der Opposition heranrückt, desto lauter wird auch der Ruf nach internationalen Vermittlern, die den Übergang zur Demokratie erleichtern sollen. Dem EU-Neuling und Nachbar Polen könnte dabei die Schlüsselrolle zukommen.


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Während in der Ukraine gestern das Oberste Gericht weiter über eine mögliche Wahlwiederholung beriet, sorgte Oppositionschef Wiktor Juschtschenko für Aufsehen. Nach Aussichten im ukrainischen Kampf um die Demokratie gefragt, machte er sich für Vermittler aus Polen stark: "Vermitteln kann nur jemand, zu dem man Vertrauen hat. Die Ukraine hat zu Polen und polnischen Politikern großes Vertrauen."

So nah wie schon lange nicht

So nah waren sich Polen und die Ukraine schon lange nicht mehr. In allen größeren polnischen Städten finden Solidaritätskundgebungen statt. In Kiew selbst geben sich polnische Politiker inzwischen als Berater regelrecht die Klinke in die Hand. Präsident Aleksander Kwasniewski, Ex-Präsident und Solidarnosc-Legende Lech Walesa, Parlamentspräsident Jozef Oleksy, Europaabgeordneter und Ex-Premier Jerzy Buzek - die Liste, ließe sich noch lange fortsetzen.

Spätestens seit Lech Walesa am Kiewer Platz der Unabhängigkeit vor hunderttausend Menschen begeisterten Applaus erntete, haben Polen und Ukrainer das Gefühl, allen historischen Animositäten zum Trotz diesmal auf der gleichen Seite der Barrikade zu stehen. "Mein ganzes Leben habe ich für jene Ideale gekämpft, für die ihr jetzt kämpft. Am Ende haben wir gewonnen. Ich sehe euren Enthusiasmus und ich bin überzeugt: Ihr werdet siegen!", die letzten Worte von Walesas Rede am Platz der Unabhängigkeit gingen in frenetischem Applaus unter. Fast scheint es, als hätten beide Völker plötzlich zu ihrer Devise erhoben, was der im Sommer verstorbene Bürgerrechtler Jacek Kuron jahrelang wiederholte: "Ohne eine freie Ukraine gibt es kein freies Polen, und ohne ein freies Polen keine freie Ukraine."

Tief verwurzelte Angst

Es ist die tief verwurzelte polnische Angst vor imperialen Gelüsten Russlands, dass tatsächlich fast ganz Polen, egal ob links oder rechts, hinter Juschtschenko zusammenstehen lässt.

Ex-Dissident Adam Michnik, inzwischen Chef der renommierten polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza", ließ gar eine Sonderausgabe von 30 Tausend Stück drucken, ins Ukrainische übersetzen und als moralische Unterstützung nach Kiew bringen. Doch nicht nur vor Ort, auch in Brüssel hat Polen den ukrainischen Demokratiekampf zu seiner causa prima gemacht. Der Pole Marek Siwiec ist Chef des Ausschusses für die Beziehungen der EU zur Ukraine, auf polnische Initiative ist es im Wesentlichen zurückzuführen, das Javier Solana bei seinem Besuch in Kiew vergangene Woche die Ukrainer sehr eindeutig merken ließ, auf wessen Seite die EU steht. Doch nicht alle in der EU haben mit der polnischen Rolle des unermüdlichen und radikalen Fürsprechers der ukrainischen Demokratiebewegung große Freude.

Belastung befürchtet

Vor allem in Italien, teilweise aber auch in Frankreich werden immer öfter Stimmen laut, Warschau würde durch seine grenzenlose, auch durch antirussische Phobien gesteuerte Begeisterung für die orange Revolution, die Beziehungen zwischen der EU und Russland unnötig belasten. Besonders deutlich wies die Polen der ehemalige italienische Botschafter in Moskau, Sergio Romano, zurecht. Im "Corriere della Sera" rief er die EU dazu auf, in der Ukraine "nicht nur den demokratischen Katechismus zu predigen", sondern Putin auch Garantien zu geben, "dass die Ukraine niemals zu einem polnischen Stachel an der Seite des russischen Staates wird." Inzwischen sehen allerdings auch einzelne polnische Beobachter ein, dass eine Ostpolitik, die aus Prinzip russische Befindlichkeiten ignoriert, für das Land sehr bald zu einem Bumerang werden kann.

Antoni Podolski, Programmdirektor des liberalen Think-Tanks Zentrum für internationale Beziehung fordert daher: "Wenn Polen tatsächlich den Wunsch hat, Schrittmacher in der Ostpolitik der Europäischen Union zu sein, sollten sich die Eliten im Land nicht unbedingt in einer Art und Weise äußern, die ihnen notgedrungen das Image eingefleischter Russlandhasser verleihen muss."