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Schmerzen richtig bekämpfen

Von Gert Baumgart

Wissen

Schmerzpatienten: zwei Drittel Frauen. | Neue Substanzen und Methoden drängen auf den Markt. | Wien. Jeder zweite Schmerzpatient wird falsch oder unzureichend behandelt. Diese alarmierende Feststellung machten jüngst Schmerz-Experten bei einem hochkarätig besetzten Round-Table-Gespräch in Wien.


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Die Folgen einer (unwirksamen) Fehlbehandlung kommen nicht nur das Gesundheitswesen sehr teuer. Auch die Auswirkungen auf die Betroffenen sind zum Teil folgenschwer: immer höhere Medikamentendosen und entsprechende Nebenwirkungen. Fast die Hälfte fühlt sich ständig müde, hilflos, depressiv, von der Gesellschaft, dem Freundeskreis isoliert..

Dr. Reinald Brezovsky, der gemeinsam mit Univ. Prof. Michael Zimpfer das Gesundheitszentrum Döbling leitet: "30.000 Menschen würden dringend eine zielführende Schmerztherapie brauchen. Das entspricht der Einwohnerzahl einer mittleren Stadt. Viele von ihnen haben eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, ehe ihnen geholfen werden kann." Der Grund: Es gibt keine eigenen Schmerzstationen in den heimischen Spitälern. Schmerz "gehört" allen Fachrichtungen an, hat leider keine eigene Lobby.

Schmerzpatienten gäben gerne für die Behandlung mehr Geld für neue Medizinen oder Behandlungsmethoden aus, wenn sie überzeugt wären, dass das etwas hilft. Das geht aus einer internationalen Schmerz-Studie hervor.

Sie achten allerdings auch sehr auf die Nebenwirkungen. "Sie legen auch starken Wert darauf, nicht nur gegen den Schmerz effizient vorzugehen sondern verlangen immer öfter eine Therapie, die die Entstehung des Schmerzes verhindert oder den vorhandenen Schmerz direkt am Ort der Bildung bekämpft", sagt der Schmerzspezialist und Leiter der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Wiener AKH, Michael Zimpfer.

Sieben Jahre Schmerzen

Zwei Drittel der Schmerzpatienten sind Frauen. Sie verarbeiten nämlich Schmerz anders. Zimpfer: "Das dürfte hormonell bedingt sein. Hormone modulieren das Schmerzempfinden und schrauben die Schmerzgrenze rauf und runter." Frauen leiden häufiger an chronischem Schmerz. Personen im Alter von 41 bis 60 Jahren haben öfter Schmerzen als jüngere. Am häufigsten sind Rückenschmerzen. Zwei Drittel der Patienten mit chronischen Schmerzen leiden täglich darunter. Im Durchschnitt quälen sie bis zu sieben Jahre lang zermürbende Schmerzen, ehe sie davon befreit werden können. Zwei Drittel der Leidenden verspüren nur moderate Schmerzen, ein Drittel hat starke Schmerzen.

Was Schmerztherapeuten konkret machen, um ihre eigenen Schmerzen los zu werden? Michael Zimpfer: "Wenn ich starke Schmerzen habe, verabreiche ich mir eine Injektion, die rasch Abhilfe verschafft." Reinald Brezovsky setzt hingegen auf die "sanfte Tour": "Ich verwende dazu Akupunktur. Bestens bewährt hat sich da eine österreichische Erfindung, das sogenannte P-Stim Gerät (Ohr-Akupunktur), oder ich vertreibe den Schmerz mit Akupressur".

Ein Blick in die Zukunft der Schmerztherapie zeigt folgendes Bild: Eine ganz Reihe neuer, innovativer Substanzen und Bekämpfungsmethoden sind entweder schon im Einsatz oder stehen unmittelbar vor der Markteinführung.

Neu: Lolly und Spray

Beispielsweise ein Morphin-Lutscher. Dieser Anti-Schmerz-Lolly wirkt sofort, da die Wirksubstanz über die Mundschleimhaut rasch in den Körper eindringt: Wirkungseintritt innerhalb weniger Minuten.

Ein neuer Nasenspray, der den Schmerz vertreibt, bedient sich ebenfalls der Schleimhäute als Transportmittel für die Wirkstoffe.

Mit Hilfe der sogenannten Epiduroskopie - ein Katheter wird direkt an der Schmerzstelle geführt und dort gezielt das Medikament abgegeben - kann der Schmerz direkt vor Ort ausgeschaltet werden. Der Arzt kann damit seine Therapiemaßnahmen punktgenau setzen. Angewendet wir dieses neue Verfahren im Wien und in Graz.

Neu ist auch Schmerzbekämpfung mit Natur pur. Dabei verwenden Mediziner das Gift der fleischfressenden Conus-Schnecke, um krampfhafte Zustände zu lösen und damit den Schmerz zu lindern. Dieses Gift wird als Schmerz-Killer voraussichtlich Anfang 2007 auf den Markt kommen.

Neue technische Geräte wie Medikamentpumpen, die Schmerz-Substanzen dann abgeben, wenn diese wirklich gebraucht werden, werden derzeit ebenfalls als erfolgreiche Waffen gegen den Schmerz an die Front geschickt Neu ist auch ein Spray, der den Schmerz wegsprühen kann.