Timoschenko setzt auf Nationalisten in der Westukraine. | Erneut heftige Proteste bei knappem Wahlausgang? | Kiew/Ternopil/Wien. Timoschenko? Janukowitsch? Mariana zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt unmerklich den Kopf. "Die sprechen doch nicht einmal ordentlich Ukrainisch", echauffiert sich die 23-jährige Studentin über den deutlich hörbaren russischen Akzent beider Präsidentschaftskandidaten. Auch die aus Dnjepropetrowsk im Südosten stammende Premierministerin, die sich gerne zur ukrainischen Ikone stilisiert, hat die Sprache erst mit 35 Jahren zu lernen begonnen. | Wirtschaftskrise: Der Frust regiert | Mehr Wachstum als in Polen
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Am kommenden Sonntag, wenn in der Ukraine die Stichwahlen zur Präsidentschaft stattfinden, wird sich zeigen, ob Julia Timoschenko den favorisierten Oppositionschef Wiktor Janukowitsch im Kampf um die Präsidentschaft noch einholen kann. Die Premierministerin setzt dabei auf Wähler wie Mariana: Die Westukrainerin, die sich im ersten Wahlgang noch für Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk entschieden hat ("Er ist jung, etwas Neues und sieht gut aus"), wählt nun die Ministerpräsidentin: Zu steif, zu unbeholfen wirkt der Kandidat aus dem Osten, der seine Reden gerne vom Blatt liest. Als es neulich zu einem TV-Duell zwischen den beiden Kontrahenten kommen sollte, blieb das für Janukowitsch vorgesehene Pult leer: Timoschenko hatte Gelegenheit, ihren Widerpart als "Feigling" zu verhöhnen.
Für die Ministerpräsidentin, einst eine der schillernden Figuren der "Orangen Revolution", hängt viel davon ab, ob sie es schafft, die ukrainisch-nationalen Wähler im Westen des Landes vom Wahlboykott abzuhalten und sie für sich zu mobilisieren. Die können sich nur schwer für den Kandidaten aus dem russischsprachigen Donbass erwärmen.
"Ukraine verteidigen"
Hier, wo die Kritik von Präsident Wiktor Juschtschenko, die Premierministerin verrate das Land an Moskau, auf fruchtbaren Boden gefallen war, absolviert die 49-Jährige besonders viele Termine, um am 7. Februar vielleicht doch noch die Nase vorn zu haben - und erinnert an glorreiche Zeiten: "Die Ukraine verteidigen", steht auf einem Wahlplakat, das Timoschenko während der Proteste 2004 zeigt.
Obwohl Timoschenko im Westen des Landes rund 60 Prozent prognostiziert werden, weht der Kandidatin ein oft rauer Wind entgegen. Nicht genug, dass die Begeisterung im Publikum bei einem Auftritt im Lemberger Opernhaus enden wollend war: Bei dem Besuch Timoschenkos in der Kreisstadt Iwano-Frankiwsk am Dienstag wurden - offenbar von nationalistischer Seite - gegen Timoschenko sogar antisemitische Parolen aktiviert. "Stimmt nicht für die Jüdin", hieß es da auf einem Flugblatt in Anspielung auf ihren armenischen Großvater und dessen angebliche jüdische Herkunft. Die Familie der Politikerin bestehe aus Juden und Russen - "und auf den Dokumenten ist sie - eine Ukrainerin?", fragen die unbekannten Verfasser.
Während Timoschenko sich im Endspurt vor allem im Westen ins Zeug legt, setzt Wiktor Janukowitsch weiter auf seine Stammwähler im Osten und Süden des Landes - und auf prominente, aber für viele fragwürdige Unterstützung: Altpräsident Leonid Kutschma, der Vorgänger Wiktor Juschtschenkos, kam nach Dnjepropetrowsk, um sich offen für Janukowitsch zu deklarieren. Auch die Sozialisten auf der russischsprachigen Krim haben sich - wenig überraschend - für Janukowitsch ausgesprochen. In dessen Lager gibt man sich siegessicher: Man werde die Wahl mit einem Abstand von mehr als 10 Prozent für sich entscheiden.
Doch abgesehen von den Akteuren wagt derzeit kaum jemand in der Ukraine Prognosen, wie das Rennen ausgehen wird. Nicht nur, wer am Sonntagabend vorne sein wird, ist noch unklar: Besonders bei einem knappen Wahlausgang - und der wird allgemein erwartet - fürchten manche im Land, dass sich die Situation zuspitzen könnte.
Timoschenko: Aufstand
So drohte Timoschenko am Donnerstag mit einem "Aufstand" ihrer Anhänger, wenn ihr Kontrahent zu "unehrlichen Mitteln" greifen sollte, und warf Janukowitsch Trickserei vor: Die Partei des Oppositionschefs hatte am Mittwoch im Parlament eine Änderung des Wahlgesetzes durchgebracht. Außerdem, so die Premierministerin im Fernsehen, habe Janukowitsch rund um Kiew paramilitärische Kräfte in Stellung gebracht. Doch auch der Oppositionschef hatte für etwaige Proteste bereits im Zuge des ersten Wahlgangs vorsorglich Zelte für seine Anhänger im Zentrum Kiews vorbereitet.
NGOs berichten - wie im Vorfeld des ersten Wahlgangs am 17. Jänner - erneut von Berichten versuchten Stimmenkaufs, die an sei herangetragen würden. "Wir haben aber nur Gerüchte, uns fehlen die Beweise", sagt Ivan Ivkovic von der europäischen Wahlbeobachter-Organisation Enemo der "Wiener Zeitung" . Die erste Wahlrunde wurde von der OSZE als fair und demokratisch gelobt.