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Schnappschüsse der Genialität

Von Eva Stanzl

Wissen
Neu freigegebene Fotos des Gehirns des Physikers geben Hinweise auf mögliche physische Merkmale des Genius.
© NMHM, Silver Spring

Wissenschafter untersuchen Albert Einsteins Gehirn nun im Detail.


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Wien. Was machte Albert Einstein zu einem einzigartigen Genie? Wissenschafter haben nun mehr als ein Dutzend Fotos seines Gehirns unter die Lupe genommen und kommen zu dem Schluss, dass das Denkorgan des Physikers tatsächlich äußerst ungewöhnliche Strukturen aufweist.

Der Nobelpreisträger starb im Jahr 1955 im Alter von 76 Jahren. Seine Nachkommen überließen sein Gehirn dem Pathologen Thomas Harvey. Dieser fotografierte und unterteilte es in 240 Blöcke, die er in einer harzartigen Substanz konservierte. Zum Zweck mikroskopischer Studien schnitt er die Blöcke in 2000 Scheiben, die er an mindestens 18 Wissenschafter weltweit versandte. Über den Verbleib dieser Forschungsobjekte ist jedoch wenig bekannt. Es wird vermutet, dass viele nach dem Tod oder der Pensionierung ihrer Besitzer verloren gingen. Gesichert sind nur jene Exemplare, die Harvey selbst behielt. Im Laufe der Jahre kamen daher nur sechs Publikationen zu Einsteins Gehirn zustande. Etwa entdeckte im Jahr 2009 die US-Anthropologin Dean Frank von der Florida State University anhand einiger weniger Fotos, dass der Scheitellappen des Physikers ungewöhnliche Kerben und Furchen hat. Diese Tatsache könnte mit dessen herausragender Fähigkeit, Probleme der Physik zu begreifen, zusammenhängen.

Vergleich mit 85 anderen Denkorganen

Falk und der Neurologe Frederick Lepore von der Johnson Medical School in New Jersey haben nun weitere 14 Fotos erstmals analysiert. Die Forscher haben die Anatomie von Albert Einsteins Gehirn im Detail untersucht und mit 85 anderen Denkorganen aus der Literatur verglichen. Obzwar es mit 1230 Gramm Gewicht nur von durchschnittlicher Größe ist, hat das Physiker-Gehirn mehr Konvulsionen und Falten als andere. Die Regionen in der linken Gehirnhälfte zur Sinneswahrnehmung und motorischen Kontrolle des Gesichts sind größer als normal. Jener Bereich, der diesen Teil des Gehirns mit der linken Hand verbindet, ist ebenfalls vergrößert. Den Forschern zufolge könnte diese Tatsache dazu beigetragen haben, dass der Physiker auch ein begabter Geigenspieler war. Auch der präfrontale Cortex, der für Planung, abstraktes Denken, Fokussierung von Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit bei der Lösung von Problemen zuständig ist, ist ungewöhnlich groß, berichten die Wissenschafter im Fachmagazin "Brain". Die komplexe Anordnung der Konvulsionen und Falten in diesem Bereich würden ihm seine besonders große Oberfläche verleihen.

Albert Galaburda, Neurowissenschafter an der Harvard Medical School in Boston, lobt die detaillierte Studie. "Dennoch wirft sie Fragen auf, die wir derzeit nicht beantworten können." Wurde Einstein mit einem genialen Gehirn geboren, das ihm ermöglichte, elementare Fragen der Physik zu lösen? Oder ließ die Beschäftigung mit der Physik bestimmte Teile des Gehirns erst wachsen? "Vermutlich liegt es an einer bestimmten Kombination von beidem", sagt Galaburda im Fachmagazin "Science".