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Schneepädagoge und Kurvenforscher

Von Nicola Werdenigg-Spieß

Reflexionen
"Der Skilehrer der Skilehrer": Hans Zehetmayer (1927-2016)
© privat

Eine persönliche Erinnerung an den Ende April verstorbenen Skilehrer-Pionier Hans Zehetmayer - und eine Würdigung seines Lebenswerks.


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Die Tante aus Wien hat dem Buben aus dem Triestingtal eine Freude machen wollen und ihn ins Kino eingeladen. "Sonne über dem Arlberg" alias "Der weiße Rausch", Arnold Fancks legendärer Ski-Film, hat im kleinen Hans den Enthusiasmus für die Wunder des Schneeschuhs geweckt. Später, am Schulskikurs in den Nockbergen, entwickelte sich erstmals die Neugierde für das "Wie". Damit war bei Hans Zehetmayer die Spur für eine Laufbahn in der Sportpädagogik gelegt.

An berühmten Skipädagogen mangelt es in der früheren Geschichte von Öster-Ski-reich wahrlich nicht. Von Zdarsky und Bilgeri über Hannes Schneider bis Stefan Kruckenhauser, von der Alpinen Ski-Fahrtechnik über die Arlbergtechnik bis zum Wedeln - die heimischen Skilehren waren besonders in der Nachkriegszeit identitätsstiftend und zugleich ein Export-Schlager.

Im Wiener Exil

Dort, wo Skilauf als österreichische Marke entwickelt wurde, in der staatlichen Ausbildung zum Berufsskilehrer am Arlberg, wurde es für den "Zecherl" aus Wien nach vielen Jahren Lehrtätigkeit und trotz der Freiheit der Berge zu eng. Er stand ebenso konsequent zum natürlichen Kurvenfahren wie er die vorherrschende Methoditis kritisierte. So wurde ihm die venia legendi in der Meisterklasse kurzerhand entzogen.

Anfänglich hat ihn das natürlich gewurmt, zumal die Entscheidung nicht zuletzt auch eine sportpolitische war. Lange hat der agile "Skiprofessor" allerdings nicht gehadert und seine eigentliche Aufgabe an der Bundesanstalt für Leibeserziehung, als Vorstand der Ausbildung von Vereins- und Schulskilehrern, im Wiener Exil als Herausforderung erkannt.

Sein Wirken an der Basis der österreichischen Skipädagogik hat Hans Zehetmayer zwar längst nicht die Popularität eines Skipapstes beschert. Die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit war und ist schließlich vorwiegend auf das Alpine-Ski-Wirtschaftswunder und rot-weiß-rote Rennerfolge gerichtet. Und wenn es gut läuft, stellt sich die Frage nach den Erfolgskomponenten naturgemäß eher selten.

Einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg sollte man sich dennoch vor Augen führen. Ihn leisten die unzähligen Helfer und Vermittler - früher Lehrwarte, jetzt Instruktoren - auf Vereinsebene im Breitensport. Sie legen einen bedeutenden Grundstein für eine konstante Positiv-Bilanz an der Weltspitze, denn ohne sie wäre die Begeisterung für den Rennsport um vieles geringer. Und Hans Zehetmayer, über Jahrzehnte hinweg für ihre Ausbildung zuständig, hat ordentlich für die Verbreitung des "Skivirus" gesorgt.

Sein Ansatz, den er unzähligen Menschen mit auf den Weg in Vereine und Schulen gegeben hat, ist ein Fundament, auf dem viel Ruhm aufgebaut werden konnte. Er wollte und konnte angehende Pädagogen in eindrucksvoller Weise von den Vorzügen der dynamischen Skitechnik gegenüber dem Arlberger "Schönskilauf" überzeugen.

"Der Prüfstein einer Skitechnik ist ihre Anwendbarkeit, besonders unter den harten und vielfältigen Bedingungen des Wettkampfs. Der Prüfstein einer Skitechnik ist aber auch ihre Anwendbarkeit im Skiunterricht. Die Skitechnik der Rennläufer und der Kinder dient uns in der österreichischen Skilehrwarteausbildung als grundlegendes Bewegungsmuster des Erlernen des Kurvenfahrens mit Ski", schrieb Hans Zehetmayer 1985.

Ski- & Klavier-Swing

Auch die Zehetmayersche Unterrichtsmethode zeugte von einer natürlichen Herangehensweise. Sie war - auch nach heutigen Maßstäben - schon vor Jahrzehnten progressiv: Statt Frontalunterricht gab es Dialog, statt langatmigen Vorträgen kurzweiligen Swing - am Ski und als Draufgabe oft auch am Klavier.

Neben aller Lockerheit suchte der "Skilehrer der Skilehrer" nach Fakten und Belegen für seinen Standpunkt im bewegungswissenschaftlichen Diskurs. Ein Gedankenaustausch, der auf nationaler und internationaler Ebene geführt wurde und sich stets von großem gegenseitigem Respekt mit Granden wie etwa Stefan Kruckenhauser oder George Twardokens (USA) auszeichnete.

Der Quer- und Freidenker Zehetmayer fand einen Weg, seine plausiblen Erkenntnisse auf eindrucksvolle Weise zu vermitteln. Die "Wiener Skimodelle", von Raimund Sobotka und Helmut Gottschlich erdacht und von Hans Zehetmayer selbst weiter entwickelt, konnten seine Thesen klar veranschaulichen. Diese einfachen mechanischen Modelle - Ski mit einem Aufbau, der lediglich Knie- und Hüftgelenke simuliert - können auf einer schiefen Ebene selbsttätig exakte Kurven fahren. Selbst die schärfsten Kritiker aus den österreichischen Ski-Institutionen konnten gegenüber den Naturgesetzen der Ski-Physik keine Gegenargumente liefern.

International gefragt

Apropos österreichische Ski-Instutionen: Man könnte jetzt passend "Markus" und die entsprechende Bibelstelle zitieren. Aber Hans hat es nicht so mit der Bibel gehabt - und als Prophet sah er sich schon gar nicht. So war er den Verbänden im eigenen Land nie gram, wenn sie ohne ihn tagten. Er war sowieso andernorts gefragt: auf zahlreichen internationalen Kongressen als Vortragender und in Workshops. Noch im vergangenen Winter 2016 war er als "Skilehrer" und Referent für "SPORTS Deutschland" im Schnee-Einsatz.

Der Kurvenforscher stellte sich bis ins hohe Alter das Ziel, historische und aktuelle Skitechniken zu analysieren und zu vergleichen. Besonders und bis zuletzt hatte es ihm die Fahrweise von Mathias Zdarsky (1856-1940) angetan. In seiner letzten Publikation - "Kurvenfahren mit Ski" -, hat Hans kurz vor seinem Tod, noch einmal präzise dargestellt, dass die akribischen Forschungen und Erkenntnisse des großen Ski-Lehrmeisters aus Lilienfeld bis heute Gültigkeit haben.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Hans auch zum engsten Kreis der Experten, Bastler und Enthusiasten zählte, die maßgeblich zur Entwicklung von stark taillierten Skiern - gemeinhin als Carving Ski benannt - und der entsprechenden Vermittlung von Fahrtechnik beitrugen. In diesem Umfeld haben wir uns näher kennen gelernt.

Nach und nach hat sich unsere Freundschaft vertieft und sich eine tiefe (Ski-)Seelenverwandtschaft gezeigt. Dieser großen Verbundenheit entspringen auch ein paar persönliche Gedanken, die mit Hans abseits der Pisten und ohne Ski zu tun haben. Seine offene Art, mit der er auf Menschen zugegangen ist, seine Bescheidenheit und die Neugierde für völlig unbekanntes Terrain haben mir imponiert.

"Finaler Einkehrschwung"

Dass er mit Keyboards gut umgehen konnte, hatte ich bei seinen beschwingten Klaviereinlagen schon öfters selbst hören dürfen. Als dann 2013 eine E-Mail von Hans in meinem Postfach landete, habe ich aber wirklich gestaunt. So wie auch Hans gestaunt hat - über die Fülle von Information, derer er im Web fündig wurde. Da hat er prompt - mit 87 Jahren - einen Computer-Kurs gemacht, um auch auf diesem Gebiet noch besser in die Tasten hauen zu können: um zu suchen, zu finden, aufzuzeichnen und digital zu kommunizieren.

So richtig beeindruckt hat mich der Umgang mit seiner fatalen Krankheitsdiagnose. Lächelnd hat er mir mitgeteilt, dass es jetzt bald Zeit für den "finalen Einkehrschwung" sei - und er so viel Glück im Leben hatte: einen Beruf, der Berufung war, Reisen, Musik, Freunde - und last not least eine großartige Partnerschaft mit seiner Gerhilde. Und es wäre nicht der Hans, hätte er sich nicht mehr Sorgen um seine Frau als um seinen Gesundheitszustand gemacht.

Nur eines hat ihn traurig gemacht: er, der so viel Väterliches an sich hatte, war kinderlos geblieben. Da habe ich ihn spontan als Ski-Vater adoptiert und versprochen, dass seine Botschaft bestimmt von mir und seinen unzähligen Ski-Kindern in aller Welt weitergetragen wird.

Ja, Hans, das Einfachste ist das Beste. Danke für alles, was wir von dir erfahren durften!

Hans Zehetmayer, geboren 1927, war 22 Jahre lang Abteilungsleiter an der Bundesanstalt für Leibeserziehung in Wien, Obmann und später Ehrenpräsident des Wiener Skischulverbandes, Generalsekretär des Internationalen Arbeitskreises für Skiins-trukteure und Skilehrwarte, Mitarbeiter im Arbeitsausschuss des "INTERSKI" für Skiterminologie und Mitautor bei den Erläuterungen der Fachausdrücke des alpinen Skilaufs:" INTERTERM", sowie Leiter der Kommission für Technik, Methodik und Ausbildungsrichtlinie.

Er war Mitbegründer des DÖSK (Deutsch-Österreichisches Skikolloquium), später ISK - Internationales Skikolloquium. Sein umfangreiches Werk mit Veröffentlichungen in Büchern, Fachzeitschriften & Skripten legt seine visionären Gedanken dar.

Am 28. April 2016 ist Hans "Zecherl" Zehetmayer im neunzigsten Lebensjahr in seiner Heimatstadt Berndorf verstorben.

Nicola Werdenigg-Spieß war alpine Skirennläuferin und ist nun als Bewegungspädagogin, Skilehrerin und Autorin tätig. Internet: www.kunstpiste.com