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Schnell einmal über die Europabrücke

Von Martyna Czarnowska

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Nur der Rhein trennt Kehl von Straßburg. Doch die Verbindung zwischen den beiden klappt nicht immer.


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Klar gibt es einen Bus nach Straßburg. Wer nach Kehl kommt, wenn gerade tausende Menschen aus Brüssel zur Plenarsitzung des EU-Parlaments gewandert sind und in Straßburg kein Hotelzimmer mehr zu bekommen ist, fragt erst einmal, wie er ans andere Ufer gelangt. Kehl mit seinen rund 16.000 Einwohnern liegt an der deutsch-französischen Grenze; nur der Rhein trennt es von der Elsass-Metropole, die in ihrer Architektur mindestens genauso deutsch wie französisch geprägt ist. Früher, bis ins späte 19. Jahrhundert, muss Kehl wie ein Vorort Straßburgs gewirkt haben, das wiederum das Tor nach Frankreich war.

Der Besitzer des kleinen Hotels, das in einem der letzten übrig gebliebenen Fachwerkhäuser untergebracht ist, kann sich noch "an den Stacheldraht aus der Zeit der französischen Besatzung" erinnern. Bis 1953 waren die Franzosen hier, danach kamen die Aussiedler etwa aus Schlesien, und erst nach 1964 konnte wieder richtig gebaut werden. Damals, erzählt der Wirt, konnte von deutschen Schulen in Straßburg nicht die Rede sein.

Mittlerweile wird in Kehl schon im Kindergarten Französisch unterrichtet, und später gibt es auch eine bilinguale Matura. Ob aber dadurch tatsächlich Freundschaften zwischen französischen und deutschen Jugendlichen gefördert werden? Nicht unbedingt, findet Anna, die Tochter des Hotelbesitzers. Sie hat in Ravensburg studiert und überlegt nun, ein Jahr lang auf Reisen zu gehen. "Es war toll, nach Straßburg zum Einkaufen oder Spaziergehen zu fahren", erklärt sie. Doch am Abend? "Es ist doch eine andere Mentalität drüben. Die Franzosen bleiben oft unter sich. Es kann vorkommen, dass sie uns Deutsche schnell veräppeln."

Eigentlich schade, sagt Anna nach kurzem Nachdenken. "Da fahren wir zum Ausgehen viele Kilometer weit, nach Stuttgart oder woanders hin, und dabei haben wir die Stadt vor der Nase." Denn was können junge Leute am Abend in Kehl schon machen? Viele Lokale gibt es nicht, vielleicht lässt sich gerade einmal auf dem Marktplatz ab und zu ein "Caipi" trinken. Gegenüber der Kirche hat eine Bistro-Bar aufgemacht. "Wolkenkratzer" nennt sich der zylinderförmige Pavillon aus Holz und Glas selbstironisch. Doch auch er sperrt um Mitternacht zu.

Die Grenze aber wäre über die Europabrücke schnell überquert. Sie war auch schon durchlässig, als es den Schengen-Raum noch nicht gab und so manche Flasche Wein zu viel eingeführt wurde. 2004 schufen Straßburg und Kehl sogar eine grenzüberschreitende Parkanlage: den "Garten der zwei Ufer".

In Kehls Supermärkten sind viele Warenangebote auf Französisch angeschrieben. Und die Trafiken, die sich gleich an der Stadteinfahrt aneinander reihen, bewerben ihre billigeren Zigaretten mit französischsprachigen Plakaten. Die Kundschaft nämlich, die von der anderen Seite zum Einkaufen kommt, ist zahlreich.

Auch die Deutsche Bahn will die deutsch-französische Verbindung fördern, wie sie verkündet. Erst vorige Woche ist die ausgebaute Eisenbahn-Brücke über den Rhein eingeweiht worden. Dass sie bis dahin einspurig war, war eine der Schwachstellen an der alten Magistrale, die von Paris bis nach Bratislava führt.

Und dann gibt es eben auch den Bus, der von Kehl nach Straßburg fährt. Theoretisch. Denn in der Parlamentswoche hat er es nicht getan. Die Fahrer streikten. Was tun, wenn der nächste Zug erst in einer Stunde geht? "Drüben fahren die Busse sicher", meint eine Kehlerin: "Gehen Sie doch zu Fuß nach Straßburg." Es ist ja nur die Europabrücke zu überqueren.