Konsumenten können in der EU seit 2009 geringfügige Beträge ohne großen Aufwand einklagen
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Wien. Zugegeben: Shoppen per Mausklick ist bequem, doch wer online bestellt, muss auch böse Überraschungen in Kauf nehmen.
So erging es Herrn Wagner* aus Linz, der auf einer deutschen Website Surfbekleidung im Wert von 228 Euro bestellte und den Händler im Voraus bezahlte. Dieser lieferte jedoch weder die Ware noch erstattete er das Geld zurück. Auf Anraten des Europäischen Verbraucherzentrums in Deutschland strengte Herr Wagner schließlich ein "Verfahren für geringfügige Forderungen in Europa" an. Das zuständige Gericht in Linz erließ ein Urteil zu seinen Gunsten, welches von den deutschen Behörden vollstreckt wurde. Der Österreicher erhielt den bezahlten Betrag zurück. Erfreulich - aber ein Ausnahmefall.
Obwohl Verbraucher ihre Rechte mit Hilfe des "Verfahrens für geringfügige Forderungen in Europa" (Verordnung (EG) Nr. 861/2007) wirksam und ohne teure und langwierige Gerichtsverfahren durchsetzen können, wird dieses bisher nur selten in Anspruch genommen. "Ich bin enttäuscht, wenn ich den geringen Grad an Unterstützung sehe, den Konsumenten tatsächlich bekommen, die das Verfahren für geringfügige Forderungen anstrengen", beklagte der frühere EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli. Denn ein aktueller Bericht des Netzes der Europäischen Verbraucherzentren (EVZ-Netz) belegt, dass das verbraucherfreundliche Verfahren kaum genutzt wird.
Dabei bietet das Verfahren bereits seit 2009 die Möglichkeit, grenzüberschreitende Angelegenheiten mit einem Streitwert von bis zu 2000 Euro rasch und kostengünstig zu regeln. Auf diese Weise soll den Konsumenten der Zugang zur Justiz bei grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren und geringfügigen zivil- und handelsrechtlichen Ansprüchen deutlich erleichtert werden. Das Urteil ergeht im Wohnsitzstaat des Verbrauchers oder - auf dessen Wunsch - im Land des beklagten Unternehmens. Das Urteil ist im Land der unterlegenen Partei und in jedem anderen EU-Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckbar. Dabei wird das Verfahren vorwiegend schriftlich anhand von Standard-Formularen durchgeführt. Elektronische Fassungen der Formulare stehen derzeit in 22 EU-Amtssprachen zur Verfügung.
Ernüchternde Studie
Das Netz der Europäischen Verbraucherzentren (EVZ-Netz) wollte nun wissen, wie das Verfahren in den 27 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2010 in der Praxis funktioniert hat. Das ernüchternde Ergebnis: Das Verfahren ist sowohl bei den Verbrauchern als auch unter Richtern relativ unbekannt. Außerdem zögern die unterlegenen Parteien die Vollstreckung eines ergangenen Urteils oft hinaus, weshalb nur die wenigsten Urteile, die die Gerichte im Heimatland zugunsten des Verbrauchers fällen, auch tatsächlich grenzüberschreitend vollstreckt werden. "Ist zur Durchsetzung der Entscheidung im Land des Händlers gemäß den nationalen Rechtsvorschriften eine Klage notwendig, so geben die Verbraucherinnen und Verbraucher oft auf, da die Durchsetzung in dem betreffenden Land komplex ist und teuer werden kann", lautet die ernüchternde Bilanz der Verbraucherschützer.
Wie bitter nötig ein wirksames Verfahren für Bagatellforderungen ist, wird jedoch durch die Tatsache belegt, dass rund 20 Prozent der europäischen Konsumenten in den vergangenen zwölf Monaten Probleme mit einer Ware, einer Dienstleistung, einem Händler oder einem Dienstleister in den EU-Inlandsmärkten hatten. Der durchschnittliche Verlust betrug dabei zirka 375 Euro, wobei es 60 Prozent der Befragten gelang, direkt mit dem Unternehmen eine zufriedenstellende Lösung zu finden.
Die restlichen 40 Prozent gingen leer aus, wobei 25 Prozent nicht einmal versuchten, zu ihrem Recht zu kommen. Die EU-Kommission will nun verstärkt mit den Gerichtsbehörden zusammenarbeiten, um das Verfahren bekannter zu machen.
*Name von der Redaktion geändert.