Die Trends der Bevölkerungsentwicklung verstärken sich, was Österreich aus umweltpolitischer Sicht vor Herausforderungen stellt.
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Wien. Österreich hat ganz schön zugelegt im Vorjahr. Die Bevölkerung ist laut Statistik Austria um 0,8 Prozent oder auch 72.000 Menschen angewachsen. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl des Bezirks Tulln. Vor allem aber bedeutet dieser Bevölkerungszuwachs eine deutlichere Zunahme als in den vergangenen Jahren, was vor allem der Zuwanderung aus EU-Mitgliedstaaten geschuldet ist.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber noch ein weiterer Aspekt: Die seit Jahren zu beobachtenden Tendenzen in der Bevölkerungsentwicklung dürften sich nicht nur manifestieren, sondern auch insgesamt verstärken, wie Alexander Wisbauer von der Statistikbehörde anmerkt. Martin Heintel, Regionalforscher an der Universität Wien, ergänzt: "Es ist auch meine Erfahrung, dass eine Beschleunigung stattfindet."
Abwanderung trotz Jobs
Das heißt, dass jene Gemeinden, die von Abwanderung betroffen sind, tendenziell noch deutlicher verlieren, während Zuwanderungsregionen mehr gewinnen. Es sind vor allem die urbanen Bereiche, die immer mehr Bevölkerung aufnehmen, so entfallen auf Wien gleich 38,9 Prozent des gesamten Wachstums im Vorjahr. Hier ballt sich auch die Arbeit.
Die Landkarte der Zu- und Abwanderungsgebiete hat sich in den vergangenen Jahren nicht grundlegend verändert, die peripheren Regionen in der Steiermark, in Kärnten, im südlichen Burgenland sowie im nördlichen Niederösterreich verlieren sukzessive an Bevölkerung, dort fehlen schlicht die Jobs. Im Datenkanon der Statistik Austria finden sich aber auch Gemeinden, deren Entwicklung so gänzlich gegen den Trend steht.
Wimpassing im Bezirk Neunkirchen ist so ein Fall, Lend im Salzburger Pinzgau ein anderer. Beide Gemeinden haben in den vergangenen Jahren massiv an Einwohnern eingebüßt, was angesichts ihrer Lage abseits der Ballungszentren zunächst einmal nachvollziehbar scheint. Das Besondere: Es sind industrielle Gemeinden, die nach wie vor viele Arbeitsplätze anbieten können. In Wimpassing ist es das Semperit-Werk sowie die Firma Voith, in Lend ist es die SAG, die Salzburg Aluminum AG. "Lend ist die SAG und die SAG ist Lend", sagt Bürgermeister Peter Eder. Er hat selbst 41 Jahre dort gearbeitet.
In diesen Fällen scheint es, als würde die industrielle Prägung der Orte als so großer Nachteil empfunden werden, dass das tägliche Pendeln in Kauf genommen wird. So ist etwa Altendorf, eine kleine Nachbargemeinde von Wimpassing, zu einer Wachstumsgemeinde geworden, obwohl sie nicht einmal an den öffentlichen Verkehr angebunden ist. Hier wohnen, dort arbeiten, lautet die Devise. Das ist natürlich auch ein Zeichen für Wohlstand.
Verkehrsanbindung wichtig
Auch in Lend wird gependelt. Die Werksiedlung der SAG, eine der ältesten in Österreich, erfüllt zeitgemäße Wohnansprüche nicht mehr, und sie wird nicht renoviert. Der Betrieb kümmere sich zu wenig, klagt Bürgermeister Eder. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten sei zudem ein Grund, weshalb das Pendeln mit dem Auto passiert, kaum noch mit dem öffentlichen Verkehr. "Das ist ein Problem", sagt Eder.
Finanziell gesehen sind Wimpassing und Lend privilegierte Abwanderungsgemeinden. Sie haben zwar durch den Einwohnerschwund finanzielle Einbußen, da die Ertragsanteile nach einem Bevölkerungsschlüssel an die Gemeinden fließen, doch nach wie vor sprudelt die Kommunalsteuer dank der angesiedelten Betriebe. "Es geht aber um die Infrastruktur, die uns zusammenbricht, die Nahversorger und Gaststätten sperren zu, wenn zu wenige Menschen im Ort wohnen", sagt Eder. Schwindet die Infrastruktur, nimmt auch die Lebensqualität ab, die Orte verlieren weiter an Attraktivität. Und auch aus umweltpolitischer Perspektive ist es nicht unproblematisch, wenn sogar solche Gemeinden von Abwanderung und täglichem Pendlerverkehr betroffen sind, die ausreichend Arbeitsplätze anbieten.
Für Jennersdorf ist dagegen eine Schnellstraße eine Art letzte Hoffnung. Kein Bezirk hat im Vorjahr so viele Einwohner verloren wie Jennersdorf im südlichen Burgenland. Am Mittwoch trudelte nun ein wichtiger Bescheid zum Bau der S7 ein, die Jennersdorf mit der A2 verbinden soll. Die Fahrt nach Graz wird dann nur mehr eine halbe Stunde dauern.
Insgesamt zeigt sich auch anhand der Bevölkerungsentwicklung, dass sich die urbanen Räume immer weiter ausdehnen. Wien erstreckt sich bis ins Burgenland, wo im Norden ein reger Zuzug herrscht. Wenn auch der Speckgürtel nicht mehr leistbar ist, ziehen die Menschen noch weiter hinaus, und fast immer entlang der Autobahn. Gralla bei Leibnitz ist hier ein Beispiel, das statistisch besonders auffällig ist.
Gralla wächst
In den vergangenen fünf Jahren ist Gralla um 13,5 Prozent gewachsen, obwohl Graz doch rund 40 Kilometer entfernt ist. Es gibt allerdings viel Baugrund sowie eine Autobahnauffahrt, und die scheint das Hauptargument zu sein. "Dieses Selbstverständnis in der Autonutzung ist dermaßen durchdrungen, dass relativ schwer alternative Formen angeboten werden können, die auch angenommen werden", sagt Regionalforscher Heintel.
Gralla lockt aber nicht nur mit der Autobahnauffahrt, sondern auch mit einem riesiges Gewerbegebiet am Ortsrand. Es gibt viele Geschäfte und mehr als 1000 Arbeitsplätze, vor allem im Handel. Für Gralla bringt dies Steuereinnahmen, nahe Gemeinden, die dann doch zu weit von Graz entfernt sind, profitieren durch die dort geschaffenen Arbeitsplätze.
Doch kein Vorteil ohne Nachteil: Der Bodenverbrauch ist groß, das Verkehrsaufkommen hoch und große Gewerbeflächen an den Randzonen von Gemeinden bedrohen die Ortskerne. Und dass Lebensqualität offensichtlich eine wichtige Rolle in der Wahl des Wohnorts spielt, belegen die Beispiele Wimpassing und Lend.