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Schnörkel gegen den Untergang

Von Judith Belfkih

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Eines der Lieblingsthemen des gelernten Kulturpessimisten von Welt ist das Thema Schreibschrift. Droht sie auszusterben, so tut das mit ihr mindestens das gesamte Abendland. Finnische Schüler - also immerhin die Pisa-Sieger - lernen seit Herbst statt der geschwungenen Schnörkelvariante nur noch die kühle Druckschrift. Die eingesparte Zeit soll genutzt werden, um flüssiger beim Produzieren von digitalen Texten, also beim Tippen zu werden. Eine nicht unumstrittene Umstellung. Auch in Österreich löste das finnische Modell eine sehr kontroversielle Debatte aus. Den unaufhaltsamen Fortschritt und den Blick ins 22.Jahrhundert schreiben sich die Befürworter auf die Fahnen. Kinder würden die Schreibschrift so selten anwenden im späteren Alltag, dass sie sie sowieso nie flüssig beherrschen würden. Wozu sie sich dann mühselig aneignen.

Es gehe um mehr als eine Kulturtechnik, erwidern Skeptiker. Das Schreiben mit der Hand sei eine Höchstleistung des menschlichen Gehirns, der Lernprozess erfordere zwar viel Geduld, sei aber ein wichtiger Schritt in der kindlichen Entwicklung und fördere zudem die Gehirnaktivität. Ihre Krakelschrift sei schon jetzt ein Handicap für viele Schüler.

Wer der Debatte derzeit eine ironische Note gibt, ist die jüngste Generation selbst. Sie feiert die Handschrift nämlich gerade als digitalen Trend. Da werden in Sozialen Medien stolz kaligrafische Kunstfertigkeiten präsentiert, es gibt Videoblogs und Anleitungen zum Thema. Zumindest im hochtechnisierten Taiwan. Und auch der Untergang des Abendlandes lässt wieder einmal auf sich warten.