ÖVP ist empört, beruft den Koalitionsausschuss ein. | Unverständnis auch in der SPÖ. | Wien. Der Schwenk der SPÖ bezüglich einer Volksabstimmung über den EU-Vertrag sorgt für reichlich Irritation - in der Koalition, aber auch in der SPÖ selbst.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und SPÖ-Chef Werner Faymann hatten in einem Brief an "Kronen Zeitung"-Herausgeber Hans Dichand erklärt, über Änderungen des von Österreich bereits ratifizierten EU-Reformvertrages oder einen eventuellen neuen Vertrag eine Volksabstimmung abhalten zu wollen. Pikanterweise soll Dichand - bekannt für seine ablehnende Haltung zur EU - den Brief selbst mitverfasst haben.
Von einem Kotau gegenüber der "Krone" wollen Gusenbauer und Faymann allerdings nichts wissen. Es sei ein Kniefall vor den Bürgern, sagte Faymann und erklärte den sozialdemokratischen Sinneswandel mit der EU-kritischen Einstellung der Österreicher.
Die ÖVP reagierte schockiert bis überrascht auf den Vorstoß des Koalitionspartners. "Das kann doch nicht die SPÖ sein", sagte ÖVP-Chef Wilhelm Molterer am Freitag, nach dem Parteivorstand. Dies sei der größte politische Fehler, den er in seiner Karriere erlebt habe. Erst vergangene Woche habe Gusenbauer im Europäischen Rat die Ratifizierung des EU-Vertrags durch den Nationalrat gerechtfertigt. Nun werde ein Grundpfeiler der SPÖ-Politik erschüttert.
Der ÖVP-Obmann kündigte an, den Koalitionsausschuss einzuberufen (siehe Artikel unten) und bei Bundespräsident Heinz Fischer vorstellig zu werden. Aufgrund dieser Gespräche werde das weitere Vorgehen überlegt. Fragen, ob der neue SPÖ-Kurs Neuwahlen bedeute, ließ Molterer unbeantwortet. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein erklärte jedoch: "Mit dieser SPÖ ist kein Staat mehr zu machen."
"Politischer Fauxpas"
Doch auch innerhalb der SPÖ stößt der Schwenk des Spitzenduos auf Unverständnis. "Das ist absolut nicht nach meinem Geschmack", sagte der SPÖ-Europaabgeordnete Harald Ettl. Vor allem, dass der Kurswechsel über die "Kronen Zeitung" bekanntgegeben wurde, ist für den EU-Mandataren ein "politischer Fauxpas". Dazu meinte sein Klubkollege Herbert Bösch empört: "Das ist nicht die Linie der SPÖ. Ich bin nicht der Kronen Zeitung beigetreten, sondern der SPÖ." Bösch fordert nun einen Rückzieher von Gusenbauer und Faymann: "Ich erwarte, dass sich die beiden Herrschaften an der Spitze der Partei von dieser Vorgangsweise, die sie selber unnötigerweise gewählt haben, distanzieren."
Auch Altbundeskanzler Franz Vranitzky forderte, den Vorstoß unverzüglich zu revidieren, und sprach von einem "Denkfehler". Gusenbauer und Faymann würden eine "Einzelmeinung" vertreten, denn ihm sei nicht bekannt, "dass irgendwelche Parteibeschlüsse gefasst worden wären."
"Begeisterte Europäer"
Rückendeckung bekam die SPÖ-Führung hingegen von den SPÖ-Ministern und den Landesgruppen. Nur Tirols SP-Chef Hannes Gschwentner zeigte sich "skeptisch", ob der Weg über eine Volksabstimmung richtig sei.
Undramatisch sehen die Chefs der Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS den SPÖ-Schwenk. "Die SPÖ ist eine EU-freundliche Partei, viele in der SPÖ sind begeisterte Europäer", meinte IHS-Leiter Bernhard Felderer. Auch für Wifo-Chef Karl Aiginger ändert sich nichts an "der Pro-Europa-Haltung der SPÖ".
Für Wiens Bürgermeister tut der Kurswechsel der bisherigen Einstellung seiner Partei ebenfalls keinen Abbruch: "Die überzeugte pro-europäische Haltung der Wiener SPÖ ist bekannt und verändert sich sicher nicht."