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Schockiert über Österreich

Von Veronika Gasser, Ankara

Europaarchiv

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan ist über Österreich schockiert. "Es ist das Land, das mich am meisten schockiert hat", sagte er gestern in Ankara gegenüber österreichischen Journalisten. Er meint die ablehnende Haltung Österreichs gegenüber einem möglichen EU-Beitritt der Türkei - und spielt damit nicht nur auf negative Äußerungen der SPÖ an, sondern auch auf die Haltung der österreichischen Regierung. "Ich habe gerade von Österreich erwartet, dass es die türkische Position am besten verstehen wird."


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Erdogan verweist auf seinen guten Kontakt mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, mit dem er demnächst Fußball spielen wollte. Doch dann folgte eine Reihe von türkei-skeptischen Äußerungen. Allerdings ist der Premier zuversichtlich, dass diese Welle der Zurückweisung nicht ewig anhalten wird. "Ich glaube, dass sie bald vorübergeht." Dass sich vor allem die große Oppositionspartei gegen die Türkei stellt, kommentiert er lapidar: "Ich respektiere jedermanns Meinung. Wenn alle einer Meinung wären, bräuchten wir nicht verschiedene Parteien."

Der türkische Staatschef kann die Ablehnung und die Vorbehalte aller EU-Mitgliedsländer nicht verstehen. Sein Land sei aufgrund des Reformkurses auf einem guten Weg. Entscheidend sei lediglich, dass die Kopenhagener Kriterien erfüllt werden. Dazu bedarf es in seiner Heimat zwar eines mentalen Wechsels, doch er ist überzeugt, dass die Türken "die Stärke haben, die Kriterien umzusetzen". Deshalb ist er auch in Bezug auf die Beitrittsverhandlungen zuversichtlich: "Ich glaube, wir werden ein positives Ergebnis erzielen."

Denn die Europäische Union sei schon lange keine Union aus Stahl und Kohle, aber auch längst nicht nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft, sondern eine der gemeinsamen politischen Werte. Die EU könne dank dem Türkei-Beitritt zur ersten Adresse für politische Stabilität und Stärke werden.

Fairness von EU-Staaten

Der Reformer verlangt von den EU-Staaten Fairness. So wüssten die künftigen Mitglieder Rumänien, Bulgarien und Kroaten schon heute, wann sie beitreten dürfen. Außerdem, so Erdogan, hätten einige der neuen EU-Staaten heute noch nicht alle Auflagen erfüllt. Und für die Türkei gebe es noch nicht einmal ein Datum zur Aufnahme von Gesprächen. Sollte der heiß ersehnte Beitritt nicht zustande kommen, dann zeige dies nur, dass in dieser Gemeinschaft Doppelstandards gelten.

Dass sein religiöser Hintergrund der eigentliche Stolperstein sein könnte, glaubt Erdogan nicht. Denn in der ganzen Welt würde es religiöse Staatsmänner geben, so beispielsweise auch religiöse Juden und keiner hätte daran etwas auszusetzen. "Und ich bin eben ein Moslem. Entscheidend ist vielmehr, dass ich seit 16 Jahren in der Politik bin, mit dem Ziel eine moderne Türkei mit der Welt zu vereinen."