Frankreichs Präsident verspricht einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit".
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Paris. "Schadenfreude" ist ein sehr deutsches Wort, das viele Sprachen als Lehnbegriff übernehmen. Nicht das Französische. Dabei ist die Grande Nation zum Ziel einer geballten Ladung deutscher Schadenfreude geworden.
Der "kranke Mann Europas" - das war Anfang 2003, vor nicht einmal zehn Jahren, Deutschland: die Arbeitslosigkeit hoch, das Wachstum gering, die Wettbewerbsfähigkeit am Boden. Dann peitschte Kanzler Gerhard Schröder seine verhasste "Agenda 2010" mit den umstrittenen Hartz-Arbeitsmarktreformen durch. Arbeitnehmer durchlebten karge Jahre, mussten mit weniger Kaufkraft ein Auslangen finden. Heute hat sich das Kräfteverhältnis umgekehrt - deutsche Medien höhnen über den neuen kranken Mann Europas: Frankreich.
Elitärer Gedankenaustausch
Schon früh in seiner Präsidentschaft steht François Hollande vor einer großen Bewährungsprobe. Er muss ein Rezept finden, damit Frankreich wirtschaftlich zu Europas Spitzengruppe aufschließt. Und der Reformbedarf ist beträchtlich, ein Scheitern hätte Folgen weit über die Landesgrenzen hinaus. In Brüssel wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass Frankreich binnen Jahresfrist das nächste Spanien werden könnte - also das Sorgenkind Nummer eins der Eurozone.
Die Ausgangslage ist schlecht, das französische Handelsdefizit mit 70 Milliarden Euro so groß wie nie. Hoffnungen auf einen Luftfahrt- und Rüstungsgiganten unter französischer Ägide haben sich zerschlagen: Die Fusion von EADS und BAE scheiterte, nicht zuletzt am deutschen Widerstand. Wichtige Industrien wie der Autosektor sind international nicht konkurrenzfähig. Das Flaggschiff PSA Citroën Peugeot musste soeben Zuflucht bei staatlichen Garantien suchen. Was also tun?
Hollande sucht Rat bei hochrangigen Einflüsterern: Am Montag traf er sich am Pariser Sitz der Industriestaatenorganisation OECD zum vertraulichen Gedankenaustausch mit einem erlauchten Kreis: Der Chefzirkel von OECD, Währungsfonds, Weltbank, Welthandelsorganisation WTO und UN-Arbeitsorganisation ILO soll von nun an jährlich zusammentreffen und wird am Dienstag Angela Merkel in Berlin einen Besuch abstatten.
Löhne sind kein Tabuthema
Nach dem Treffen kündigte Hollande einen umfassenden "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" ab, der das Problem in allen Dimensionen erfassen soll - dazu gehörten auch die Arbeitskosten. Die mittelfristig ausgelegte Reformstrategie soll Anfang November starten, sagte Hollande. Zunächst wolle er den Bericht von Louis Gallois abwarten: Der ehemalige EADS-Chef ist nun Generalkommissar für staatliche Investitionen. Laut französischen Medien liegt der Bericht der Regierung schon vor - und soll einen veritablen Schock ausgelöst haben. Die Chefs der 98 größten Unternehmen hatten am Wochenende gemeinsam appelliert, die Lohnsteuer binnen zwei Jahren um 30 Milliarden Euro zu senken. Der Staat solle im Gegenzug 60 Milliarden Euro über fünf Jahre hinweg einsparen.
In der Debatte komme "alles auf den Tisch", versprach Hollande. Alle Seiten müssten sich auf Opfer gefasst machen. Gewerkschaften und Arbeitgeber forderte er auf, eigene Reformvorschläge einzubringen. Das staatliche Defizit bis nächstes Jahr wie versprochen unter drei Prozent zu bringen habe jedenfalls höchste Priorität.