Auf die Prozente kommt es an. Früher wurde Schokolade gedankenlos Rippe für Rippe verspeist - heute geht es Genießern um Kakaogehalt, Anbaugebiete und Abgang. Das "Wiener Journal" fragt nach, warum Schokolade der neue Wein ist, wieso Pralinen teuer sein müssen und was Josef Zotter von Trittbrettfahrern hält.
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Vollmilchschokolade im Silberpapier, 100 Gramm, mit Haselnüssen oder ohne - so einfach konnten süße Gemüter noch vor wenigen Jahren ihren Unterzucker beruhigen, Rippe für Rippe. Im Land der Berge gehörte einfach Milch zum Schokoladegenuss - und fertig waren der Seelentröster, die Belohnung und die Nachmittagsjause. Wenn einmal Not am Mann war, wurde zu noch schwereren Geschützen gegriffen: zur 300 Gramm Ganznuss-Tafel etwa. Eine Menge, die Halbtote in Lebende, Liebeskummer in satte Zufriedenheit und knackige Hüften in weniger knackige verwandeln kann. Damals hat man Schokolade noch im Supermarkt gekauft.
Dort gibt es sie zwar immer noch, sie ist aber auch in kleine Spezialläden übersiedelt. Hier zählen nicht Gramm, sondern Prozente. Mindestens 25 Prozent Kakaoanteil haben Milchschokoladen, Bitterschokoladen beginnen bei 50 Prozent. Und wer etwas auf seinen Gaumen hält, unterschreitet die 70-Prozent-Marke nur ungern. Herrenschokolade nannten findige Produzenten früher die Edelbitterschokolade, um auch Männer zum Verzehr von Schokolade, die als Süßigkeit für Frauen und Kinder galt, zu überzeugen. Die Männer haben sie längst auf ihrer Seite, und das wohl noch mehr, seit die Edelschokolade ihren Siegeszug durch Österreich angetreten hat und zum Luxus- und Designobjekt wurde.
Der Schoko-hype. Schicke Boutiquen in den Innenstädten wie das Xocolat (in Wien, Linz und Baden) heben die Schokolade auf ein Podest und inszenieren Tafeln und Pralinen, als wären es Handtaschen oder Kleinwagen. Selbst der frühere Coburg-Küchenchef Christian Petz widmet sich in der Xocolat-Manufaktur jetzt auch der Patisserie und kreiert edle Trüffel und Pralinen. Nicht von ungefähr ist seine aktuelle "Barfly Collection" aus Schokolade und Bar-Spirituosen auch in Weinhandlungen erhältlich - macht doch die Edelschokolade eine ähnliche Entwicklung durch wie vor einigen Jahren der Wein. Nun wird auch die Schokolade vom Alltagsgut zum Luxusobjekt - Bezeichnungen wie "Grand Cru" und bierernste Verkostungen inklusive. Ähnlich erging es in den letzten Jahren auch edlen Essigen, Ölen und Salzen. "Die Grundnahrungsmittel entdecken sich neu, das ist eine tiefe Nabelschau", meint die Wiener Ernährungswissenschafterin und Trendforscherin Hanni Rützler: "Das ist eine internationale Entwicklung im Lebensmittelüberfluss." So entwickelten sich etwa die Spanier, die früher nicht dafür bekannt waren, in den vergangenen Jahren zu wahren Schokolademeistern: "Mich fasziniert ihre strenge konzeptionelle Art. Dort geht es um Purismus und intellektuelle Vielfalt." Der Trend zu teuren Edelschokoladen in Europa spiegelt den gesellschaftlichen Wandel wider: "Es ist kein hungriger Markt, er ist gesättigt." Auf diesem Markt bewegen sich Kunden, die zunehmend kritischer und bewusster handeln, die wissen wollen, wo Produkte herkommen.
Trend zur Edelschokolade. Noch vor wenigen Jahren bestand der Markt zu 90 Prozent aus Milchschokolade, nun ist die Edelschokolade auf dem Vormarsch und auch bereits beim Diskonter erhältlich. "Mich wundert, dass es so lange gedauert hat", meint Hanni Rützler. "Im Bereich der Genussmittel wurden in den letzten 15 Jahren alte Sicherheiten hinterfragt. Es geht nicht mehr um mehr vom Gleichen, nicht noch mehr macht glücklicher, sondern besser statt mehr. Es geht um neue Qualitäten, um Herkunft, um Authentizität und um Geschichte." Die Personen, die hinter der Herstellung von Genussmitteln stehen, rücken mehr in den Vordergrund. Wie der Steirer Josef Zotter, der mit seinen kreativ gefüllten Tafeln aus handgeschöpfter Schokolade den Siegeszug der Edelschokolade in Österreich eingeläutet und schon viele Nachahmer hat.
1992 begann Zotter, die Welt der Schokolade zu erforschen - mit dem Ziel sie zu verändern. Er brachte Früchte in seine Schokoladen, die auch wie Früchte schmecken sollten, er interessierte sich für die Herkunft seiner Rohstoffe. Zotter kennt seine Kakaobauern persönlich, reist regelmäßig nach Südamerika und ist Mitglied bei Fair Trade. Fast schon Ehrensache ist da, dass sein gesamtes Sortiment auch biologisch hergestellt wird. Die Andersartigkeit dieses Sortiments machte den Chocolatier aus der Oststeiermark auch berühmt: "Bergkäse-Walnüsse-Trauben", "Portwein-Sellerie-Trüffel" oder "Süßwein und Sonnenschwein" heißen seine Kreationen, in den kleinen Tafeln stecken gerne auch Grammeln oder Hanfsamen. Aber nicht nur der Inhalt macht das Erfolgsrezept Zotters aus, von Beginn an waren es auch die bunten, verspielten Verpackungsdesigns vom hauseigenen Art Director, die die kuriosen Namen unterstützen. "Zotter ist ein kreatives Pulverfass. Er hat sein Thema gefunden, er irritiert und inspiriert", sagt auch Hanni Rützler. Immer neue Ideen verlassen das Werk unterhalb der Riegersburg: Zotter entwickelte die runde Schokolade "Mitzi Blue" im CD-Format und benannte sie nach seinem Oldtimer, verabreicht Choco-Shots in Einwegspritzen und produziert "Sauerstoff-Schokolade". Ins Schoko-Laden-Theater im Zotter-Werk kommen jährlich 170.000 Besucher, um zu sehen, wie aus Bohnen Schokoladetafeln werden. Hier befindet man sich im Schokoladen-Schlaraffenland, kann von sprudelnden Nougatbrunnen naschen, Schokoladen vom Laufband fischen und seine eigene Verpackung kreieren. Für Mai 2011 plant Zotter sein nächstes Projekt: ein 27 Hektar großer Biobauernhof als "Essbarer Tiergarten", die artgerecht gehaltenen Tiere können bewundert, aber auch verspeist werden. Zotter arbeitet an immer neuen Ideen, im Bereich der Schokolade gehört er zu den großen Vorreitern in Österreich. Viele Schokoladehersteller setzen mittlerweile auf Edelschokolade und besondere Kreationen. Ärgern ihn die zahlreichen Nachahmer oder freut er sich über gestiegenes Qualitätsbewusstsein? "Mein Gott, das ist eine heikle Frage", sagt Zotter zum "Wiener Journal". "Natürlich wünscht man sich keine Nachahmer, vor allem wenn man jahrelang gekämpft hat für eine bessere Schokoladekultur und zwischendurch fast pleite-
gegangen ist. Aber ich muss auch sagen, erst seit wir massiv kopiert werden, hat unsere Erfolgsgeschichte auch wirklich begonnen." Durch die vielen Mitbewerber, die sich des Themas annehmen, habe sich eine "Sehnsucht nach dem Original" entwickelt. "Man muss auch sagen, es war eigentlich nicht schwer, die Schokolade besser zu machen. Denn so schlecht wie sie vor 15, 20 Jahren war, war sie vorher noch nie. Und so gut wie jetzt im kleinen Nischen-Segment war sie halt auch noch nie." Wie wird es auf dem Markt weitergehen, was meint Josef Zotter? "Der Kakao wird knapper und vor allem teurer, also wird man sich weitere Ersatz- oder Zusatzstoffe einfallen lassen, um noch weniger Kakaoanteil in der Schokolade haben zu müssen. Vermutlich wird es so sein wie nahezu überall: Die Schere geht auseinander, das Gute wird noch teurer und wahrscheinlich das Billige ausbeuterisch noch billiger oder hält das Niveau", sagt Zotter. Im Spitzensegment gehe die Reise unbedingt weiter zu dunklen Schokoladen, "aber auch die Milchschokoladen beginnen sich zu verändern und werden besser, zumindest bemühen wir uns auch in diesem Segment." Werden wir bald noch mehr edle Schoko-Läden in den Innenstädten vorfinden? "Ob sich reine Edelschokoladeläden halten können, bezweifle ich leider. Dieser Trend ist in Amerika schon wieder abgeflacht und erreicht uns gerade eben." Noch erfreuen sich die kleinen Shops wie das Xocolat großer Beliebtheit, neben Eigenkreationen von Christian Petz, den Produkten von Zotter und Schokoladen aus der ganzen Welt gibt es auch die bunten Tafeln des Chocolatiers Johannes Bachhalm aus dem oberösterreichischen Kirchdorf. Er bestreut dünne Zartbitter- und Milchschokoladen mit Ingwer, Flieder oder Meersalz, sie tragen Namen wie "Weiße Trüffel-Shiitake" oder "Honig-Mohn-Propolis". Auch hier wird wieder die Weinsprache bemüht: Die Schokoladen sind "Cuvées" aus verschiedenen Anbaugebieten, eine "zarte Süße im Abgang" wird versprochen.
Geschmacksoffensive. "Edelschokoladen wollen entdeckt und gespürt werden", erklärt Hanni Rützler. Nicht die Größe und die Menge stehen im Vordergrund, sondern Qualität und Genuss. Auch der Preis beeinflusst den Genuss: Eine schön verpackte Tafel wie jene von Bachhalm, die nicht selten über fünf Euro kostet, schlingt man nicht gedankenlos hinunter. "Dass Schokolade so teuer sein darf, führt zum bewussteren Hingreifen." Bei aller Liebe zu hochwertigen Lebensmitteln: Nimmt die Inszenierung der Schokolade als Luxusgut, das Philosophieren über Abgang und Geschmacksnoten nicht auch lächerliche, absurde Formen an? Was sagt die Trendforscherin Hanni Rützler dazu? "Ja, das Zelebrieren der Qualität, das Inszenieren des fast Alltäglichen hat etwas Skurriles, etwas Irritierendes. Aber die Irritation führt uns aus der Ambivalenz, das ist das Spannende." Mittlerweile gibt es Schokolade in allen Formen und Designs, von High-Heels bis zum Gartenwerkzeug, das aus Schokolade gegossen wurde. "Die Überästhetisierung fördert das bewusstere Essen und damit die Schulung des Geschmacks." Rützler bietet in ihrer "brain kitchen" beim Brunnenmarkt in Ottakring auch Workshops zu dessen Schulung an, ab 10. Jänner werden in "Die Lust am Geschmack" die Sinne geschärft. "Wir sind noch geprägt vom Mangel: Ein großes Schnitzel war stets das bessere Schnitzel. Aber jetzt gibt es auch eine qualitative Differenzierung, ein geschulter Gaumen ist wichtig."
info/kontakt.
Future Food Studio
Mag. Hanni Rützler
Brunnengasse 17, 1160 Wien
Workshop "Die Lust am Geschmack": 10.?1., 11.?1., 15.?2., 21.?2., 7.?3.?2011
www.futurefoodstudio.at
Zotter Schokoladen Manufaktur GmbH
Bergl 56a, 8333 Riegersburg
Schoko-Laden-Theater:
geöffnet Mo bis Sa von 8 bis 19 Uhr
www.zotter.at
Konditorei Bachhalm
Hauptplatz 1, 4560 Kirchdorf
www.bachhalm.at
Xocolat
Freyung 2, 1010 Wien
Herrenstraße 5, 4020 Linz
Theresiengasse 1, 2500 Baden
Manufaktur: Servitengasse 5, 1090 Wien
www.xocolat.at