Netanjahu will von geplanter Beschränkung der Befugnisse für Oberstes Gericht "keinen Zentimeter abweichen".
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Berlin. Dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nicht um einen Kommentar zu den geplanten Änderungen in Israels Justizwesen kommen wird, war beim Besuch von Premier Benjamin Netanjahu in Berlin klar. Es ging einzig um die Frage, wie deutlich die Kritik an Netanjahus Vorhaben ausfällt, dem zufolge die Regierung in Jerusalem ihren Einfluss bei der Auswahl von Richtern stärkt und die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs einschränkt, Gesetze zu kippen.
Die Unabhängigkeit der Justiz sei "ein hohes demokratisches Gut", sagte Scholz bei einer Pressekonferenz mit Netanjahu. Es sei wichtig, einen "möglichst breiten Konsens" in der Frage zu finden. Der deutsche Kanzler äußerte die Hoffnung, dass ein Kompromissvorschlag von Israels Präsident Isaac Herzog noch nicht vom Tisch sei. Netanjahu lehnte allerdings bereits vor seiner Abreise nach Deutschland den Vorschlag des Staatschefs ab.
Seit Wochen kommt es in Israel zu Massenprotesten gegen die geplante Justizreform. Netanjahus Gegner werfen ihm und seiner Koalition vor, gezielt die Judikative schwächen zu wollen und die Demokratie zu untergraben. "Unser Wunsch ist, dass unser Wertepartner Israel eine liberale Demokratie bleibt", betonte Scholz.
Zentralrat der Juden kritisiert Netanjahu
Einmal mehr verteidigte Israels Regierungschef sein Vorhaben: "Wir werden keinen Zentimeter davon abweichen." Es sei jedenfalls "nicht wahr", dass seine Regierung die Unabhängigkeit der Justiz untergraben wolle. Eine unabhängige Justiz sei nicht eine allmächtige Justiz. Netanjahu, der mit einem Strafverfahren konfrontiert ist, und seine Koalitionspartner, zu denen auch nationalistische und rassistische Kräfte zählen, werfen den Richtern vor, sie hätten sich zu stark in die Politik eingemischt. "Wir werden alles Notwendige tun, um das Ungleichgewicht zu korrigieren", erklärte der Premier in Berlin.
Noch deutlichere Kritik als von Scholz kommt von seiner Parteikollegin und Vorsitzenden der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Gabriela Heinrich. Sie spricht nicht nur die geplanten Änderungen im Justizwesen an. Die angekündigte Legalisierung illegaler Siedlungen mache die von EU und USA befürwortete Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser unmöglich. Und: "Die Pläne zur Wiedereinführung der Todesstrafe sind für einen demokratischen Rechtsstaat inakzeptabel", sagt Heinrich.
Ganz und gar nicht einverstanden mit Netanjahu ist auch der Präsident des Zentralrats der deutschen Juden, Frank Schuster. "Ein Abbau demokratischer Strukturen wäre auch für die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels nicht akzeptabel."
In Israel dauern die Proteste gegen Netanjahus Regierung an. Künstler malten in Jerusalem eine dicke rote Linie auf der Straße, die zum Höchsten Gericht führt. Diese sollte die Verbindung zwischen einer unabhängigen Justiz und der Meinungsfreiheit symbolisieren. Reservisten der israelischen Marine blockierten den Hafen der Küstenstadt Haifa mit Booten. "Die Marine wird nicht in eine Diktatur segeln", hieß es auf großen Bannern entlang der Boote. In der von Strengreligiösen bewohnten Stadt Bnei Brak eröffneten andere Reservisten eine "Musterungsstelle". Sie seien gekommen, "um die Last der Wehrpflicht an die ultra-orthodoxe Bevölkerung zu übergeben". Viele junge strengreligiöse Männer in Israel sind nicht bereit, in der Armee zu dienen. (da/reu)