Der designierte Kanzler plädiert für eine allgemeine Impfpflicht, die Ende Februar beschlossen werden soll.
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Die vermeintlichen Weltmeister im Organisieren kupfern vom klischeehaft schludrigen Süden ab. Auch Deutschland setzt künftig auf einen Armeeangehörigen, damit die Impfquote in der Bundesrepublik steigt. Erst rund 70 Prozent der Bevölkerung haben bisher zumindest eine Dosis eines Corona-Vakzins erhalten. In Italien sind es 78 Prozent, in Portugal sogar 89 Prozent - dank General Francesco Figliuolo und Henrique Gouveia e Melo, Konteradmiral der Marine. Ähnliches soll in Deutschland unter Generalmajor Carsten Breuer gelingen, der den nationalen Corona-Krisenstab übernimmt.
Der 56-Jährige hat bereits ein Büro im Kanzleramt bezogen, wo Angela Merkel nur noch bis zur kommenden Woche dient. Danach zieht der Sozialdemokrat Olaf Scholz ein, statt Schwarz-Rot regieren Rot, Gelb und Grün. Breuers Krisenstab wird im Kanzleramt angesiedelt, nicht mehr im Gesundheits- und Innenministerium. Die Pandemiebekämpfung steigt zur Chefsache auf.
In den vergangenen Wochen regierte jedoch die Behäbigkeit. Zwischen der nur noch geschäftsführend amtierenden und der künftigen Koalition in Berlin, auch zwischen dem Bund und den vorrangig für Infektionsschutz zuständigen Bundesländern wurde die Verantwortung hin- und hergeschoben. Bezeichnend, dass vor dem Gipfel der 16 Ministerpräsidenten mit Merkel und Scholz am Dienstag sogar die Meinungen auseinandergingen, ob überhaupt konkrete Beschlüsse gefällt werden. Das sei nicht geplant und außerdem Vorbedingung für das Treffen gewesen, sagte Noch-Kanzleramtschef Helge Braun.
Patienten ausgeflogen
Verhandlerkreise ließen durchsickern, dass die CDU-geführten Bundesländer Kontaktbeschränkungen befürworten: Ungeimpfte sollen sich mit maximal fünf Personen aus höchstens zwei Haushalten treffen dürfen. Bei Großveranstaltungen sollen die Tribünen zu zwei Dritteln frei bleiben. Zuletzt sorgten 50.000 Zuschauer beim Fußballmatch Köln gegen Mönchengladbach für Diskussionen. Komplett geschlossen könnten Bars, Clubs und Diskotheken werden.
Die CDU-Länder plädieren für ein bundesweit einheitliches Vorgehen. Aber nicht einmal innerhalb der Konservativen herrscht Konsens. Schleswig-Holstein möchte die Beschränkungen bei Großveranstaltungen und Nachtgastronomie an die Infektionszahlen koppeln. Denn im nördlichsten Bundesland haben sich 150 Personen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen angesteckt. Das ebenfalls von der CDU regierte Sachsen markiert mit fast 1.270 Personen den Höchststand. Bereits mehr als 100.000 Personen sind deutschlandweit mit oder an dem Virus verstorben.
Der künftige Kanzler Scholz verfolgt nun eine Linie nach österreichischem Vorbild. Er plädierte beim virtuellen Treffen am Dienstag laut der Agentur Reuters für eine allgemeine Covid-Impfpflicht, die bis Ende Februar beschlossen werden soll - ohne Fraktionszwang im Parlament. Anschließend kündigte er auch offiziell ein Gesetzgebungsverfahren für eine allgemeine Impfpflicht an. Sein Vorschlag ziele auf den Zeitraum "Ende Februar oder Anfang März", sagte Scholz.
Hierzulande soll das Gesetz Anfang Februar in Kraft treten. In Deutschland arbeitete das Gesundheitsministerium bisher an einem Gesetzesentwurf einer Impfpflicht für Mitarbeiter in Pflegeheimen und Spitälern.
Doch das reicht nicht, um der Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. Bereits jetzt müssen Patienten in andere Bundesländer verlegt werden. Betroffen davon sind Bayern sowie fünf ostdeutsche Bundesländer: Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg. Für den Transport der Patienten steht unter anderem eine Maschine der Luftwaffe zur Verfügung.
Die Verzahnung mit dem Militär erfolgte bereits lange vor der Ernennung von Generalmajor Breuer. So wurden Patienten aus dem italienischen Bergamo im vergangenen Jahr nach Deutschland transportiert.
Ständiges Nachschärfen
Neben der allgemeinen Impfpflicht spricht sich Scholz für eine 2G-Regel im Einzelhandel aus, also Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene. Immer mehr weichen SPD, Grüne und FDP von ihrer Linie zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ab, wonach sie auf flächendeckende Maßnahmen verzichten. In einer der ersten Vereinbarungen ließen die drei Parteien die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite mit Ende November auslaufen. Die Bundesländer durften damit nicht mehr Ausgangsbeschränkungen sowie Schul- und Betriebsschließungen in großem Stil verhängen. Bereits beim vor zwei Wochen im Bundestag beschlossenen Infektionsschutzgesetz musste die Ampel nachschärfen, Scholz kündigte am Dienstag weitere Änderungen an, damit Bundesländer mit hohen Inzidenzen einen "angemessenen Instrumentenkasten zur Verfügung haben".
Rückenwind erhalten die Vertreter von Einschränkungen durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Demnach war die im April beschlossene "Bundesnotbremse" rechtskonform, dank der auch Ausgangssperren durchgesetzt wurden. Dagegen legten 80 FDP-Abgeordnete einst Verfassungsbeschwerde ein, pikanterweise auch der designierte Justizminister Marco Buschmann. Mit Ende Juni wurde die Notbremse wieder ausgesetzt.
Die konservative Opposition sieht mit dem Urteil bereits die Weichen für eine neue Notbremse gestellt. Entscheidungen sollen bei einem erneuten Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag fallen.