Ein junges Mädchen bekam Schadenersatz für Diskriminierung, weil sie eine Lehrstelle aufgrund ihres Geschlechts nicht bekam. Der Oberste Gerichtshof hat hier Neuland betreten.
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Die Bewerbung eines jungen Mädchens für eine Lehrstelle als Zimmerer fand sogar in den Medien Beachtung. Dies lag nicht allein daran, dass in diesem Beruf auch heute noch wenige Frauen anzutreffen sind. Gegenstand der Berichterstattung war vielmehr der Umstand, dass die Bewerberin Sandra B. bei der Bewerbung auf Grund ihres Geschlechts diskriminiert worden war. Für den dadurch verursachten immateriellen Schaden erhielt sie nach einem Gerichtsverfahren über alle drei Instanzen eine Entschädigung von 500 Euro zugesprochen.
Obgleich es sich um einen vergleichsweise geringen Betrag handelte, hat der Oberste Gerichtshof mit diesem Urteil Neuland betreten. Erstmals wurde nämlich Schadenersatz für Diskriminierung zugesprochen, obgleich die Bewerbung nach sachlichen Kriterien geprüft und mangels einschlägiger beruflicher Erfahrung ausgeschieden worden war.
Haben Frauen "keine Kraft"?
Sandra B. war auf das Stelleninserat der Zimmerei im Internet gestoßen. Dort wurden zwei Lehrstellen für "Zimmer(er)innen" ausgeschrieben. Voraussetzungen waren neben einem positiven Pflichtschulabschluss auch "perfekte Deutschkenntnisse" sowie "Schwindelfreiheit" und "körperliche Fitness". Als Kontaktperson für die Bewerbung wurde Herr Ing. S. genannt.
Sandra B. fand an dem Inserat Gefallen und rief bei Herrn Ing. S. an. Auf die Frage, ob es in Ordnung sei, wenn sie sich als "Mädchen" bewerbe, erwiderte dieser: "Eher nicht." Auf Nachfrage, wie das gemeint sei, antwortete Herr S., dass Frauen keine Kraft hätten.
Durch diese Äußerungen fühlte sich Sandra B. vor den Kopf gestoßen und ärgerte sich. Dennoch bewarb sie sich in der Folge beim Unternehmen auf schriftlichem Weg. Als sie einige Zeit später das Ablehnungsschreiben der Zimmerei erhielt, war für sie klar, dass sie nur aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt worden war. So wandte sie sich zunächst an die Gleichbehandlungskommission und klagte sodann den Inhaber der Zimmerei beim Arbeits- und Sozialgericht auf Schadenersatz.
Im Gerichtsverfahren wurde zwar festgestellt, dass Ing. S. mit der Lehrlingsausbildung nichts zu tun hatte. Hierfür war Herr Ing. R. zuständig, der auch unter den Bewerbern eine Vorauswahl getroffen und die Gespräche geführt hatte. Nach den gerichtlichen Feststellungen waren bei der Auswahl körperliche Fähigkeiten wie Stärke ohne Relevanz.
Alle sieben eingeladenen Bewerber (von insgesamt 70) hatten hingegen einschlägige Erfahrung mit Holz vorzuweisen, nicht jedoch die Klägerin.
Was Arbeitgeber lernen können
Dennoch bekam Sandra B. vor den Gerichten Recht. Der OGH stellte einen "klaren und massiven Verstoß" gegen das Gebot der diskriminierungsfreien Bewerbung fest.
Dass die Klägerin sich trotz der Äußerung von Ing. S. beworben hatte und ihre Bewerbung auch geprüft wurde, änderte nach Ansicht des OGH nichts an der Schadenersatzpflicht des (potenziellen) Arbeitgebers.
Diese "verfahrensrechtliche" Dimension des Diskriminierungsschutzes betrifft auch die anderen geschützten Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Alter. Zur Vermeidung von Schadenersatzklagen sollten daher Arbeitgeber ihr Bewerbungsverfahren im Hinblick auf mögliche diskriminierende Aspekte umfassend beleuchten. Im gegenständlichen Fall könnte etwa der Hinweis auf "perfekte Deutschkenntnisse" im Stelleninserat Anlass für eine Diskriminierungsklage aufgrund ethnischer Zugehörigkeit sein.
Andreas Tinhofer ist Experte für Arbeitsrecht in der Kanzlei MOSATI Rechtsanwälte.