Mit einer neuen Straßenpolizei will Kiew mit der Korruption in der Exekutive brechen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kiew. Wenn Ljudmila in ihrer Uniform durch die Straßen Kiews geht, wird sie ständig angehalten. "Ihr seid super!" hebt ein Junge den Daumen im Vorbeigehen. "Darf ich ein Foto mit Ihnen machen?" fragt ein junger Mann. "Natürlich!" strahlt Ljudmila und streicht ihre langen, schwarzen Haare über der Uniform glatt. Knips.
Ljudmila Milewitsch, perfekter Lidstrich, braun gebrannt und schlank, ist 27 Jahre alt. Am 4. Juli wurde sie gemeinsam mit anderen 2000 zur neuen Kiewer Straßenpolizei angelobt. "Wir haben keine Erfahrung, aber den absoluten Willen, etwas zu verändern", sagt Ljudmila., die zuvor in der juristischen Abteilung einer Bank gearbeitet hat. "Ich möchte bei den ersten sein, die versuchen, den Staat neu aufzubauen."
Alles neu - das ist das Motto der neuen Kiewer Polizei: Neue Uniform, neue Autos, neues Personal. Für die Stellen wurden nur Anwärter zwischen 21 und 35 Jahren aufgenommen, das Durchschnittsalter soll jetzt bei 26 Jahren liegen. Jeder vierte Polizist ist eine Frau. Es gibt sogar einen neuen Namen: Hießen die Einsatzkräfte bis zuletzt in sowjetischer Tradition "Miliz" (milizija), so wurden sie jetzt in "Polizei" (polizija) umbenannt.
In Kiew werden die neuen Polizisten wie Popstars gefeiert. Schnell bilden sich Menschentrauben, wenn die adretten, weißen Toyota Prius mit dem Blaulicht im Kiewer Stadtzentrum vorfahren. Auch in den sozialen Netzen sorgen die neuen "Cops" für Furore: Passanten laden Selfies mit den Polizisten hoch. Auf Twitter gibt es tausende Einträge unter dem Hashtag #Kyivpolice. "Jetzt folge ich sogar einer Polizistin auf Instagram. O tempora, o mores", schrieb dazu ein Beamter aus der Präsidialadministration auf Twitter. Auch Buzzfeed titelte zuletzt über die "neuen heißen Polizisten von Kiew", während sich der russische Auslandssender RT über die neue Einheit lustig machte: "Zieht die ‚Police Academy‘ jetzt etwa in die Ukraine?"
"Ihr werdet eure Gesundheit und sogar euer Leben riskieren, aber die wirkliche Gefahr ist nicht dort, wo Kugeln fliegen, sondern wo Banknoten rascheln", sagte Präsident Petro Poroschenko bei der Angelobungsfeier. Die Exekutive gilt in der Ukraine als besonders korrupt. Bei einem Durchschnittsgehalt von 2500 Hrywnja (rund 110 Euro) war es üblich, zumindest mit Bestechungsgeldern ein finanzielles Auskommen zu finden. Für die neue Kiewer Polizei wurden die Gehälter auf 8000 bis 10.000 Hrywnja (umgerechnet 350 bis 450 Euro) erhöht. "Ihr seid das lebende Beispiel dafür, dass es in unserem Land fundamentale Veränderungen gibt," so Poroschenko weiter.
Verantwortliche für die Reform kommt aus Georgien
Denn der Hunger nach Reformen ist groß. Laut einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums halten 81 Prozent der Ukrainer die Reformen - insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung - für unzureichend. Dass die Ukrainer derart euphorisch auf die neue Polizei reagieren, sei da nur verständlich, glaubt Jekaterina Sguladse, die die Reform auf den Weg gebracht hat: "Die Ukraine hat so lange Zeit auf greifbare Reformen gewartet. In der Ukraine werden derzeit viele Reformen umgesetzt - sei es bei Finanzen, bei Energie, oder bei Sozialem - aber diese Reformen brauchen Zeit. Sie sind nicht sofort sichtbar." Ob es sie nicht störe, dass die Polizisten wie Popstars vergöttert werden? "Manchmal ist ihre Freundlichkeit vielleicht bis in die Groteske gesteigert", räumt sie ein. "Aber es ist wichtig, weil wir ein altes Klischee brechen und eine völlig neues Bild aufbauen wollen."
Sguladse kommt aus Georgien, wo sie unter der Präsidentschaft von Micheil Saakaschwili eine viel gelobte Polizeireform verantwortet hat. Seit Dezember ist sie stellvertretende Innenministerin der Ukraine und hat die neue Kiewer Polizei innerhalb von sechs Monaten auf die Beine gestellt. "Wir sehen schon einen deutlichen Anstieg des öffentlichen Vertrauens", sagt Sguladse. "Die Notrufe haben um das sechsfache zugenommen. Wenn die Leute ein Problem haben, rufen sie die Polizei - das ist gut."
Zuletzt haben vor allem die Ereignisse am Maidan die Kluft zwischen Bevölkerung und der Exekutive noch weiter vertieft. Im Winter 2013/2014 standen sich im Kiewer Stadtzentrum Demonstranten und Polizeikräfte gegenüber, als die Gewalt eskalierte, starben mehr als 100 Menschen. "Wir müssen den Leuten in Uniformen wieder ihren Stolz zurückgeben, denn wir brauchen Polizisten, die sich selbst und somit auch die Bürger respektieren", sagt Sguladse. "Früher war es so, dass man um die Polizisten einen Bogen gemacht hat und besser die Straßenseite gewechselt hat" erzählt Ludmilla selbst, die junge Polizistin. "Jetzt ist es umgekehrt: Die Leute kommen auf uns zu!"
Überwachung soll Korruption bekämpfen helfen
Doch der Kampf gegen die Korruption braucht mehr als neue Uniformen. Wie soll die Korruption tatsächlich verhindert werden? "Jeder Polizist hat eine Kamera, die ständig an sein muss, wenn sie in Kontakt mit den Bürgern treten", sagt Sguladse. "Zudem ist jedes Auto mit GPS ausgestattet - wir sehen also, ob das Einsatzauto wirklich in dem Bezirk ist, wo es auch sein soll." Zudem werden Aktivitäten und Anfragen auf einem Tablet aufgezeichnet. Die totale elektronische Überwachung als Gegenmittel? "Natürlich haben die Leute versucht, mir Bestechungsgelder zuzustecken", räumt Ljudmila ein. "Aber dann weise ich sie darauf hin, dass ich eine Kamera habe und dass sie damit gegen ein Gesetz verstoßen." Wie es sich anfühlt, im Job ständig beobachtet zu werden? "Das fällt mir gar nicht mehr auf", winkt Ljudmila ab. "Und genau genommen ist es zu meinem eigenen Schutz, und zum Schutz der Bürger. Es ist ein Instrument zur Kontrolle und zur Sicherheit."
Grund zur Kritik ist dabei weniger die ständige Überwachung, sondern die Kosten: "Es gab Kritik daran, dass wir uns diese Instrumente inmitten einer finanziellen Krise leisten", sagt Sguladse. "Das sind aber keine Spielzeuge oder Luxusgüter, sondern wichtige Investments, die wir brauchen, um einen neuen Standard aufzubauen." Die Polizeireform wurde von internationalen Geldgebern unterstützt. So hat etwa die US-Regierung 15 Millionen Dollar sowie die kanadische Regierung fünf Millionen kanadische Dollar beigesteuert. Viele der Polizisten wurden zudem von Trainern aus den USA, aus Kanada oder aus Japan ausgebildet.
Die neue Kiewer "polizija" soll zum Vorbild für die gesamte Ukraine werden. Neue Einheiten werden derzeit in Odessa, in Lwiw, in Charkiw und in Mykolajiw aufgestellt. "Wir brauchen ein starkes Beispiel, um zu zeigen, dass wir die Probleme bewältigen können", sagt Sguladse.